Bandscheibenvorfall ist eine unerwartet schwere Erkrankung
Ein Bandscheibenvorfall ist im Zusammenhang mit der Stornierung einer Reise als "unerwartet schwere Erkrankung" zu beurteilen. Das gilt nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz auch für den Fall, dass der Versicherte, der seine Reiserücktrittskosten-Versicherung in Anspruch nehmen will, schon vorher unter Rückenschmerzen gelitten hat.
Der Fall aus der Praxis
Der Kläger hatte bei der beklagten Versicherung eine Reiserücktrittskostenversicherung abgeschlossen. Gemäß den Versicherungsbedingungen besteht Versicherungsschutz für jede mit einer gültigen Kreditkarte („Goldkarte”) des Versicherungsunternehmens bezahlte Reise (bis zu einem Reisepreis von 10.000 €). Versichert sind der Inhaber einer gültigen Haupt- oder Zusatzkarte und weitere fünf Personen. Gemäß den Versicherungsbedingungen besteht eine Leistungspflicht des Versicherers, wenn die gebuchte Reise wegen einer „unerwarteten schweren Erkrankung” nicht angetreten werden kann. Am 13.10.2007 traten bei dem Kläger nach Gartenarbeiten anhaltende Rückenschmerzen auf, die von seinem Hausarzt mit Spritzen behandelt wurden. Hierdurch trat zunächst eine Beschwerdelinderung ein. Einen Monat später, am 14.11.2007, suchte der Kläger wegen starker, bis in den rechten Oberschenkel reichender Schmerzen einen Orthopäden auf. Die Beschwerden des Klägers besserten sich trotz der verordneten Krankengymnastik nebst Massagen nicht. Am 04.12.2007 buchte der Kläger für sich und seine Ehefrau über ein Reisebüro eine 15-tägige Rundreise durch Argentinien und Chile für den Zeitraum vom 05. bis 21.02.2008 zu einem Preis von 5.710 € pro Person – insgesamt 11.420 € – den er mit der von der Beklagten ausgegebenen Kreditkarte bezahlte. Am 11.12.2007 suchte der Kläger einen Neurologen auf. Dieser stellte einen Bandscheibenvorfall fest und hielt eine sofortige Operation für erforderlich. Daraufhin stornierte der Kläger am 14.12.2007 die gebuchte Reise. Hierfür wurden ihm vom Reiseveranstalter Stornokosten in Höhe von 3.803 € pro Person berechnet. Anschließend wurde der Kläger an der Bandscheibe operiert. Die beklagte Versicherung lehnte eine Zahlung aus der Reiserücktrittskostenversicherung ab. Mit seiner Klage verlangte der Kläger die Erstattung der von ihm gezahlten Stornokosten abzüglich des vereinbarten Selbstbehalts von 20 %, insgesamt 6.084,80 €, nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Das sagt der Richter
Das Gericht gab dem Kläger recht. Mit der Stornierung der Reise am 14.12.2007 sei der Versicherungsfall eingetreten. Der operativ zu behandelnde Bandscheibenvorfall des Klägers stelle eine unerwartete schwere Erkrankung dar. Als unerwartet sei eine Erkrankung anzusehen, die aus der subjektiven Sicht des Versicherten nicht voraussehbar ist. Die Diagnose eines operativ zu behebenden Bandscheibenvorfalls und damit die Reiseunfähigkeit des Klägers zum geplanten Reisebeginn am 05.02.2008 seien aus der subjektiven Sicht des Klägers nicht mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen. Allein das Bestehen wochenlanger Rückenschmerzen begründe für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer keine Wahrscheinlichkeit eines Bandscheibenvorfalls, wenn den Beschwerden - wie im Streitfall - ein Verhebetrauma bei Gartenarbeiten vorausgegangen sei und auch der konsultierte Orthopäde als Facharzt nach gründlichen Untersuchungen keine Feststellungen getroffen habe, die auf einen akuten Bandscheibenvorfall hindeuteten. Selbst wenn aufgrund der längeren Beschwerden des Klägers unklarer Ursache mit einem Bandscheibenvorfall zu rechnen gewesen wäre, habe der Kläger nicht damit zu rechnen brauchen, dass die Erkrankung nur operativ zu behandeln wäre und er deshalb am 05.02.2008 nicht reisefähig sein werde. Das Beschwerdebild des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt der Buchung der Reise sei nur insoweit maßgeblich, als sich hieraus hinreichende Anhaltspunkte für eine schwere Erkrankung ergäben. Anderenfalls komme es für die Frage des Vorliegens einer unerwartet schweren Erkrankung auf die definitive ärztliche Diagnose einer schweren Erkrankung an; diese sei hier erst am 11.12.2007 und damit nach der Buchung der Reise erfolgt (OLG Koblenz, Beschluss vom 22.01.2010, Az.: 10 U 613/09).
Das bedeutet die Entscheidung
Eine unerwartete schwere Erkrankung liegt vor, wenn bei dem Versicherten aus dem Zustand des Wohlbefindens und der Arbeits- und Reisefähigkeit heraus Krankheitssymptome auftreten, die die Durchführung der geplanten Reise unmöglich machen. Die Erkrankung oder Verschlechterung der bestehenden Krankheit ist für den Versicherungsnehmer vorhersehbar, wenn aufgrund der ihm bekannten Tatsachen eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Krankheit sprach, wobei auf die Sicht eines nicht mit medizinischen Spezialkenntnissen ausgerüsteten durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen ist.
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