Massenentlassung ist für den Betriebsrat kein Geschäftsgeheimnis
Personalabbau geht nicht ohne Betriebsrat
Wenn es um einen massiven Personalabbau geht, ist natürlich der Betriebsrat gefragt. Ein norddeutsches Pharmaunternehmen wollte eine geplante Massenentlassung allerdings unter den Teppich halten und erklärte dem Betriebsrat, dass es sich hier um ein Geschäftsgeheimnis handele, dass keinesfalls der Belegschaft mitgeteilt werden dürfe. Der Betriebsrat wollte sich selbstverständlich keinen derartigen Maulkorb anlegen lassen und zog vor Gericht.
Der Fall
Personalabbau soll geheim bleiben
Ein großes Pharmaunternehmen unterrichtete Ende 2014 den Wirtschaftsausschuss und den Betriebsrat in einer gemeinsamen Sitzung über eine geplante Betriebsänderung in Form eines Personalabbaus von 285 Stellen auf null Stellen zum 01.11.2014. Zugleich wurden dem Betriebsrat konkrete Terminvorschläge für Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan mitgeteilt. Gleichzeitig wurde der Betriebsrat darüber in Kenntnis gesetzt, dass es sich bei den mitgeteilten Informationen um streng vertrauliche Geschäftsgeheimnisse handele – diese seien nach § 79 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geheimhaltungsbedürftig. Der Betriebsrat forderte unter Hinweis auf eine bald beabsichtigte Unterrichtung der Betriebsöffentlichkeit vom Arbeitgeber Klarstellung, warum es sich bei dem beabsichtigten Personalabbau denn um ein solches Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis handelt.
§ 79 BetrVG Geheimhaltungspflicht
(1) Die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrats sind verpflichtet, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen wegen ihrer Zugehörigkeit zum Betriebsrat bekannt geworden und vom Arbeitgeber ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind, nicht zu offenbaren und nicht zu verwerten. Dies gilt auch nach dem Ausscheiden aus dem Betriebsrat. Die Verpflichtung gilt nicht gegenüber Mitgliedern des Betriebsrats. …
Betriebsrat lässt sich trotz strafrechtlicher Drohung nicht einschüchtern
Das Unternehmen berief sich in seiner Antwort darauf, dass bei Veröffentlichung Unruhe im Unternehmen und Wettbewerbsnachteile entstehen würden. Bei Verstößen gegen die Geheimhaltungspflicht nach § 79 BetrVG werde man daher „jedes Betriebsratsmitglied persönlich straf- und haftungsrechtlich voll für seine Tätigkeit verantwortlich machen“. Der Betriebsrat ließ sich nicht einschüchtern und informierte die Mitarbeiter zwei Tage später über den Personalabbau. Er nahm die Drohung des Arbeitgebers nicht hin und erhob vor dem Arbeitsgericht Elmshorn Klage auf die Feststellung, dass es sich bei der Information über den Personalabbau um kein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis handele. Das Gericht gab der Mitarbeitervertretung Recht, das Pharmaunternehmen legte daraufhin Beschwerde beim Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein ein.
Das sagt das Gericht:
Kein objektives und sachliches Interesse des Arbeitgebers an Geheimhaltung
Das LAG wies die Beschwerde des Arbeitgebers grundsätzlich zurück. Der Personalabbau stellt kein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis dar, er fällt nicht unter die Geheimhaltung nach § 79 BetrVG. Die Richter stellten klar, dass der Arbeitgeber kein sachliches und objektives Interesse auf Geheimhaltung besitze. Ein allgemeines Geheimhaltungsinteresse gegenüber den Wettbewerbern könne hier ebenfalls keine Verschwiegenheitspflicht begründen, da jeder Arbeitgeber derartige Interessen besitze. Im Ausgangsfall habe der Arbeitgeber nicht konkret vorgetragen, wieso und wodurch konkret die Erfolgsaussichten der Maßnahme (Personalabbau) bei fehlender Geheimhaltung in Frage gestellt werden. Ebenso fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, woraus sich ein konkreter, besonderer Wettbewerbsnachteil ergeben soll, der alle am Markt agierenden Unternehmen ständig trifft (LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.5.2015, Az.: 3 TaBV 35/14)
Expertenrat
Die Entscheidung des LAG ist mehr als lesenswert. Es werden hier ganz grundsätzliche Definitionen zum Thema Betriebsgeheimnis und Geschäftsgeheimnis im Rahmen der Geheimhaltungspflicht nach § 79 BetrVG gegeben. Die Beschlussbegründung des Landesarbeitsgerichts gehört unseres Erachtens in jedes Betriebsratsbüro.
Grundlagenschulung im Arbeitsrecht ist für Betriebsräte unverzichtbar
Man kann Betriebsräten nur immer wieder raten, sich über das Arbeitsrecht und die geltende Rechtsprechung ausreichend zu informieren und weiterzubilden. Wer sich hier nicht auskennt, läuft Gefahr, sich vom Arbeitgeber blitzschnell überfahren und durch in der Praxis gar nicht seltene Drohungen mit rechtlichen Konsequenzen für den einzelnen Betriebsrat unter Druck setzen zu lassen. Grundlagenschulungen im Arbeitsrecht – und soweit erforderlich – auch zu speziellen Rechtsgebieten muss der Arbeitgeber zahlen.
Unser Tipp
Wenn Sie einen guten Schulungsanbieter für das Arbeitsrecht suchen, sollten Sie immer auf dessen entsprechend ausreichende Qualifikation und Erfahrungen achten. Ihr Arbeitgeber kann Sie nämlich ohne Grund nicht grundsätzlich auf den billigsten Anbieter verweisen!
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