Bandscheibenvorfall - Gericht verwehrt Anerkennung als Arbeitsunfall
Bandscheibenvorfall ist kein Arbeitsunfall
Ein Bandscheibenvorfall kann jeden treffen. Fast die Hälfte aller Patienten, die eine Orthopädiepraxis aufsuchen, kommt wegen Bandscheibenproblemen. In den meisten Fällen trifft der Bandscheibenvorfall die Patienten aus heiterem Himmel - häufig während der Arbeit. Dennoch erkennen die Berufsgenossenschaften Bandscheibenvorfälle zumeist nicht als Arbeitsunfall an.
Der Fall aus der Praxis
Ein Arbeitnehmer hatte sich beim Verladen einer Waschmaschine auf einen Lastwagen einen Bandscheibenvorfall zugezogen. Er beantragte in der Folge die Anerkennung des schädigenden Ereignisses als Arbeitsunfall. Die zuständige Behörde lehnte die Anerkennung mit der Begründung ab, dass kein plötzliches von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorliege. Dies sei jedoch Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls. Der Arbeitnehmer legte gegen diese Entscheidung Widerspruch ein. Im Widerspruchsbescheid teilte ihm die Behörde mit, dass Bandscheibenverletzungen nur dann Unfallfolge sein könnten, wenn begleitende Verletzungen in den betroffenen Segmenten vorlägen. Dies sei hier nicht der Fall. Eine Last von 25 bis 30 Kilogramm sei nicht geeignet, eine isolierte Bandscheibenverletzung zu verursachen. Dementsprechend sei der Bandscheibenvorfall nicht durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden, sondern lediglich im Rahmen mehrerer Vorschäden an der Wirbelsäule anlässlich des Anhebens der Waschmaschine aufgetreten. Daher liege kein Arbeitsunfall vor. Der Arbeitnehmer akzeptierte diese Entscheidung nicht und klagte deshalb vor dem Sozialgericht auf Anerkennung des erlittenen Bandscheibenvorfalls als Arbeitsunfall.
Das sagt der Richter
Die Klage wurde abgewiesen. Die Sozialrichter vertraten die Ansicht, dass für die Anerkennung als Arbeitsunfall der Ursachenzusammenhang zwischen Handlung und körperlichem Schaden entscheidend sei. Nur wenn im konkreten Fall das Heben der Waschmaschine den Bandscheibenvorfall ausgelöst habe, könne von einem Arbeitsunfall ausgegangen werden. Diese Voraussetzung sei im Streitfall zu verneinen. Die Kausalitätsbeurteilung habe auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeiten von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließe die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen. Zwar sei es hier beim Hebevorgang zu dem akuten Schmerzereignis gekommen. Dieses Schmerzereignis, der Bandscheibenvorfall, stelle aber eine Gelegenheitsursache im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung dar. Denn es seien weder eine plötzliche Änderung der Hebesituation, noch eine starke Rotation, noch ein von außen eintretendes Ereignis dokumentiert. Die Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule des Arbeitnehmers zeige, dass bereits zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens erhebliche degenerative Vorschädigungen vorhanden gewesen sind, die Ursache für den Bandscheibenvorfall waren (SG Karlsruhe, Urteil vom 20.10.2010, Az.: S 4 U 2813/09).
Das bedeutet die Entscheidung
Es gibt verschiedene Ursachen für einen Bandscheibenvorfall: Einseitige Belastungen, genetische Schwächen oder eine Schwäche der paravertebralen (neben den Wirbeln gelegenen) Muskulatur. Die ausschließlich unfallbedingte Schädigung der Bandscheibe ist bislang nicht als Ursache-Wirkungskette nachgewiesen. Widersprechende Argumentationen werden von Berufsgenossenschaften und Sozialgerichten höchst selten anerkannt. Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls setzt voraus, dass ein Unfallereignis vorliegt, das als ein plötzlich von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis definiert wird. Diese Voraussetzung ist bei einem Bandscheibenvorfall, der während der Arbeit ohne jegliche äußere Einwirkung auftritt, nicht erfüllt.
Wichtiger Hinweis
Ein von außen einwirkendes Ereignis ist ein Vorgang, der auf den Körper einwirkt, z. B. Schlag, Hieb, Stoß oder Stich. Vorgänge, die aus dem Körper selbst kommen, fallen nicht darunter (z. B. Schlaganfall, Herzinfarkt).
Checkliste zum Download
Welche Voraussetzungen die Anerkennung eines Arbeitsunfalls sonst noch hat, erfahren Sie anhand unserer Checkliste Arbeitsunfall.
Nur in Ausnahmefällen erfolgt Anerkennung
Die Anerkennung eines Bandscheibenvorfalls als Arbeitsunfall kommt in Betracht, wenn das Unfallereignis schwer genug war, um Rissbildungen in der Bandscheibe zu verursachen. Das Ereignis muss in seiner Mechanik so abgelaufen sein, dass es die Entstehung derartiger Rissbildungen erklärt; es muss der Nachweis geführt werden, dass sich im unmittelbaren Anschluss an den Unfall die Symptome eines Ischiasleidens oder einer Lumbago eingestellt haben; es muss vor dem Unfall Beschwerdefreiheit, zumindest Beschwerdearmut bestanden haben; die klinischen Symptome müssen für einen hinteren Bandscheibenvorfall sprechen (Bayerisches LSG, Urteil vom 06.12.2005, Az.: L 15 VS 3/01).
Berufsgenossenschaften sind für Vorsorge und Rehabilitation verantwortlich
Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für die Unternehmen der Privatwirtschaft und deren Arbeitnehmer sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften. Darüber hinaus gibt es noch die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften. Aufgabe der Berufsgenossenschaften ist es, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhindern. Außerdem sind sie für die medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation von verunfallten bzw. an einer Berufskrankheit leidenden Arbeitnehmern verantwortlich. Darüber hinaus obliegt es den Berufsgenossenschaften, die Unfall- und Krankheitsfolgen durch Geldzahlungen finanziell auszugleichen.
Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung
Die Berufsgenossenschaften sind bei Arbeitsunfällen, Wegeunfällen und Berufskrankheiten für die gesamte Rehabilitation zuständig. Sie erbringen Leistungen zur Rehabilitation und Entschädigungsleistungen. Einen echten Leistungskatalog im Sinne einer Liste enthält das SGB V nicht. Auf folgende Leistungen haben Unfallopfer Anspruch:
- Heilbehandlung (Kosten für ärztliche Behandlung, Krankenhausaufenthalte, Verband-, Arznei- und Heilmittel)
- Berufshilfe (berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation)
- Verletztengeld
- Pflegegeld
- Rentenabfindung
- Übergangsgeld
- Leistungen zur sozialen Rehabilitation
- Waisenrente
- Witwen- und Witwerbeihilfe
- Sterbegeld
- Abfindungszahlungen
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