Verzehr von Patientenessen rechtfertigt keine fristlose Kündigung
Verzehrt ein Krankenpflegehelfer ein Stück einer Patientenpizza, rechtfertigt dies in aller Regel nicht dessen fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung. Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden.
Der Fall aus der Praxis
Ein Arbeitnehmer ist seit 1991 als Krankenpflegehelfer in einer psychiatrischen Fachklinik beschäftigt. Er genießt tariflichen Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber warf dem Beschäftigten vor, übrig gebliebenes Gulasch und ein Stück Pizza gegessen zu haben. Er habe zulasten der Patienten Vermögensdelikte begangen und deren besondere Schutzbedürftigkeit ausgenutzt. Der Arbeitnehmer bestritt die Vorwürfe. Ohne vorherige Abmahnung kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats fristlos. Der Krankenpflegehelfer erhob Kündigungsschutzklage.
Das sagt der Richter
Mit Erfolg. Die Kündigung ist aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten unwirksam, urteilte das Gericht. Eine Abmahnung wäre das mildere Mittel gewesen, um den Arbeitnehmer auf seine Verfehlung aufmerksam zu machen. Die Richtigkeit der erhobenen Vorwürfe unterstellt wäre unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, des langjährigen ungestörten Verlaufs des Beschäftigungsverhältnisses, des äußerst geringen Wertes der verzehrten Speisen sowie des Fehlens eines entsprechenden Verbots eine Abmahnung eine angemessene Reaktion gewesen. Sie hätte ausgereicht, um durch Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses das künftige Verhalten des Beschäftigten positiv zu beeinflussen. Bei der Prüfung des für die außerordentliche Kündigung erforderlichen wichtigen Grundes komme es nicht darauf an, wie ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich zu würdigen sei, sondern darauf, ob der Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Dabei müsse der Arbeitgeber das Maß der Beschädigung des Vertrauens, das Interesse an der korrekten Handhabung der Geschäftsanweisungen, das vom Arbeitnehmer in der Zeit seiner unbeanstandeten Beschäftigung erworbene "Vertrauenskapital" sowie die wirtschaftlichen Folgen des Vertragsverstoßes berücksichtigen (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.09.2010, Az.: 3 Sa 233/10).
Das bedeutet die Entscheidung
Arbeitgeber müssen sich darüber im Klaren sein, dass fristlose Kündigungen nicht dazu dienen, ein an sich strafwürdiges Verhalten eines Arbeitnehmers zu sanktionieren.
Checkliste zum Download
Welches Verhalten in der Regel auch ohne Abmahnung den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigt, erfahren Sie in unserer Checkliste Kündigung ohne Abmahnung.
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