Das Märchen vom Geheimcode – Die Zeugnissprache in der Praxis
Zeugnissprache sollte für Sie als Fach- und Führungskraft niemals ein Buch mit sieben Siegeln sein. Dies gilt sowohl für das eigene Zeugnis, als auch für diesbezügliche Bewertungen Ihrer Mitarbeiter und Kollegen. Viel wird über den vermeintlichen Geheimcode gerätselt und geschrieben – dabei existiert er gar nicht. Dies zumindest, wenn man darunter eine "geheimen Vereinbarung" unter Arbeitgebern versteht. Es hat sich allerdings eine bestimmte Zeugnissprache etabliert, die teilweise deutlich vom allgemeinen Sprachgebrauch abweicht und daher schwer verständlich, mitunter sogar irreführend ist.
Wichtiger Hinweis
Bei allen Formulierungen im Arbeitszeugnis gilt es, diese immer im sprachlichen Kontext (also innerhalb der die Aussage umgebenden Sätze) zu betrachten!
Der Ursprung „positiver“ Zeugnisformulierungen
Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 1963 ist schuld daran, dass es für Laien nicht viel einfacher ist, ein Arbeitszeugnis zu entschlüsseln, als altertümliche Schrifttafeln. Seit der Veröffentlichung dieser Entscheidung (Az.: VI ZR 221/62) des Bundesgerichtshofes ist es amtlich, dass in Zeugnissen geschwindelt werden muss, dass sich die Balken biegen. Die Richter hatten es allerdings nur gut gemeint, als sie die schon immer bestehende
- Wahrheitspflicht des Zeugnisses um eine sogenannte
- Wohlwollenspflicht
ergänzten. Seitdem dürfen Arbeitgeber das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht mehr behindern. Sie müssen deshalb das Zeugnis positiv formulieren - selbst wenn der Mitarbeiter faul oder völlig unfähig war. Hier ein Zitat aus dem Urteil:
„Oberster Grundsatz ist, dass der Inhalt des Zeugnisses wahr sein muss; das heißt aber nicht, dass bei einem Zeugnis über Leitung und Führung die Verpflichtung zu schonungsloser offener Beurteilung von ungünstigen Vorkommnissen besteht. Das Zeugnis soll von verständigem Wohlwollen für den Arbeitnehmer getragen sein und ihm sein weiteres Fortkommen nicht erschweren.“
Herausgekommen sind dadurch merkwürdige sprachlichen Verirrungen, die heute allgemein als Zeugnissprache gelten. Dabei handelt es sich um zunächst freundlich klingende Floskeln, in denen bittersüß versteckte Wahrheiten enthalten sind. Die Auslegung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass nicht jeder Ersteller des Zeugnisses ein versierter Formulierungsprofi ist und die entsprechenden (stillschweigenden) Konventionen kennt und richtig anwendet.
Übersicht zum Download
In der Übersicht: Geheimcode in Zeugnisformulierungen finden Sie eine Vielzahl von Beispielen.
Das Verhältnis von Wahrheitspflicht zur Wohlwollenspflicht
Arbeitgeber sind verpflichtet, bei der Beurteilung den wohlwollenden Maßstab eines verständigen Arbeitgebers zugrunde zu legen. Jedes Zeugnis sollte daher mit Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse des Mitarbeiters formuliert werden. Faktisch ausgeschlossen ist somit, dass der Arbeitgeber in einem Zeugnis einfach das niederschreibt, was er vom Arbeitnehmer wirklich hält. Somit sind
- unnötig abwertende Formulierungen,
- unbegründete Werturteile
- beleidigende, aber auch missverständliche Formulierungen
grundsätzlich tabu.
Wichtiger Hinweis
Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer hält auch über den Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis an. Das heißt, auch bei einem Telefonanruf eines neuen Arbeitgebers ist der alte an Wahrheit und – vor allem Wohlwollen – noch gebunden.
Da Wahrheit und Wohlwollen ggf. in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen können, sind diesbezügliche Widersprüche vorprogrammiert. Im Verhältnis zwischen Wahrheit und Wohlwollen hat die Wahrheitspflicht in jedem Falle Vorrang. Es sollte allerdings eben nicht jede Schwäche des Arbeitnehmers erwähnt werden. Als Grundsatz lässt sich festhalten, dass die Beurteilung stets konstruktiv und nicht destruktiv vorgetragen werden sollte.
Auch ein mit „mangelhaft“ bewertetes Zeugnis kann wohlwollend erstellt sein, wenn ein bestimmtes Fehlverhalten des Mitarbeiters nicht benannt wird.
Es gibt kein Arbeitnehmerrecht auf Verschweigen
Ein Rechtsanspruch, dass dem Arbeitnehmer ungünstige Umstände verschwiegen werden, kann aus der Wohlwollenspflicht nicht hergeleitet werden. Es besteht auch kein Anrecht auf bestimmte Zeugnisformulierungen im Zeugnis. Im Streitfall muss der Arbeitgeber aber diejenigen Tatsachen und Bewertungen, auf die sich das Zeugnis stützt, nachweisen können. Einzelvorkommnisse, die nicht charakteristisch für den Arbeitnehmer und dessen Arbeitsverhalten sind, dürften in der Regel keine Erwähnung finden. Dies gilt selbstverständlich nicht für Verfehlungen, die das Maß des Tolerierbaren gravierend überschreiten - bspw. Unterschlagungen bei einem Buchhalter.
Bestimmte Themen gehören nicht ins Zeugnis
Eigenschaften und Merkmale, die in Arbeitszeugnissen grundsätzlich keine Erwähnung finden dürfen, sind:
- Kündigungsgrund
- Entgelt
- Vorstrafen, die nichts mit dem Arbeitsverhältnis zu tun haben
- Abmahnungen
- Fehlzeiten bzw. Krankheiten
- Leistungsminderungen
- Behinderungen
- Religiöse Bekenntnisse
- Mitgliedschaft in Parteien oder Wählergruppen
- Gewerkschaftszugehörigkeit
- Betriebsratsengagement
- Nebentätigkeiten
- Urlaubs- und Fortbildungszeiten (dürfen ausnahmsweise aufgenommen werden, wenn in deutlich mehr als der Hälfte des gesamten Arbeitsverhältnisses Urlaub genommen wurde)
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