Freiwilligkeitsvorbehalt: Überstunden dürfen Schwerbehinderte ablehnen
Schwerbehinderte Arbeitnehmer dürfen keinesfalls zur Mehrarbeit gezwungen werden. Dies gilt auch dann, wenn dies im entsprechenden Tarifvertrag oder tarifvertragsähnlichen Richtlinien vorgeschrieben ist. Ein kirchlicher Arbeitgeber wollte dies nicht glauben und zog sogar vor das BAG.
Der Fall aus der Praxis
Eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin (GDB 60) war in einem Jugendzentrum der Caritas beschäftigt. Sie wurde sowohl zu normalen Diensten wie auch zu den als Nachtbereitschaft bezeichneten zusätzlichen Bereitschaftsdiensten herangezogen. Ihrem Arbeitsverhältnis lagen die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbands (AVR)" zugrunde. Danach sind die Mitarbeiter verpflichtet, auch außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit Dienstleistungen in Form des Bereitschaftsdiensts zu erbringen. Die Beschäftigte verlangte von ihrem Arbeitgeber, werktäglich grundsätzlich nicht mehr als 8 Stunden (einschließlich der Bereitschaftsdienste) zur Arbeit herangezogen zu werden. Der Arbeitgeber weigerte sich, die Sache ging durch alle Instanzen.
Das Urteil
Das BAG gab der Frau Recht. Die Richter bestätigten zunächst, dass Bereitschaftsdienst regelmäßige Arbeitszeit im Sinne der Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) sei. Die Mitarbeiterin habe nach § 124 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) einen grundsätzlichen Rechtsanspruch, von jeglicher Mehrarbeit freigestellt zu werden. Jede Arbeit, die über die normale gesetzliche Arbeitszeit, also über 8 Stunden einschließlich der Bereitschaftsdienste, hinausgehe, gelte daher als Mehrarbeit. Tarifliche Regelungen, die Beschäftigte verpflichten, über die normale Arbeitszeit hinaus Bereitschaftsdienste zu leisten, seien demzufolge unzulässig. (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.11.2006, Az.: 9 AZR 176/06)
Das bedeutet die Entscheidung
Es wird deutlich klargestellt, dass ihre Möglichkeit, Mehrarbeit einseitig anzuordnen, bei der Beschäftigung von schwer behinderten Menschen ausgeschlossen ist. Auch Bereitschaftsdienste oder andere Arbeiten muss ein Schwerbehinderter über acht Stunden täglich grundsätzlich nicht leisten. Sie sollten daher frühzeitig im Rahmen ihrer Personalplanung ausreichend Vorsorge treffen, um einen Bedarf an Mehrarbeit ausschließlich mit nicht schwerbehinderten Mitarbeitern abdecken zu können.
Expertenrat
Als Schwerbehinderung definiert das Gesetz einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50. Sobald dieser vorliegt, genießen Schwerbehinderte besondere Schutzrechte am Arbeitsplatz. Dies wirkt sich auf das Kündigungsverfahren (Zustimmung des Integrationsamts erforderlich!) und den zusätzlichen Urlaubsanspruch von 5 Tagen aus.
Schwerbehinderte dürfen aber freiwillig mehr arbeiten
Der oben genannte § 124 SGB IX beinhaltet aber kein Verbot der Mehrarbeit. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer soll jedoch nicht gegen seinen Willen zusätzlich belastet werden. Er entscheidet selbst, ob er von seinem Anspruch auf Freistellung von Mehrarbeit Gebrauch macht oder nicht. Es liegt also an Ihnen, wie Sie ein Überstundenangebot schmackhaft machen.
Nachtarbeit ist nicht verboten
Für Nachtarbeit besteht im SGB IX keine Regelung, die der zur Mehrarbeit entspricht. Aus der besonderen Fürsorgepflicht der Arbeitgeber gegenüber schwerbehinderten Beschäftigten (§ 81 Abs. 4 SGB IX) kann sich jedoch im Einzelfall eine Unzumutbarkeit von Nachtarbeit ergeben (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03.12.2002, Az.: 9 AZR 462/01).
Checkliste zum Download
Hier geht's zur Checkliste Fürsorgepflichten des Arbeitgebers bei Schwerbehinderten
Freistellungsanspruch gilt für 8-Stundentag
Auch Teilzeitbeschäftigte sind in den Schutzbereich des § 124 SGB IX miteinbezogen. Die Vorschrift ist auf Teilzeitbeschäftigte jedoch nicht schon dann anwendbar, wenn die persönliche überschritten wird. Entscheidend ist die gesetzliche tägliche Arbeitszeit - also 8 Stunden.
Vorsicht
Ordnen Sie eigentlich zulässige Mehrarbeit bei einem schwer behinderten Teilzeitbeschäftigten an, kann in besonderen Einzelfällen aber außerhalb des § 124 SGB IX ein Anspruch auf Freistellung von dieser vorübergehend zusätzlich angeordneten Arbeitszeit bestehen. Voraussetzung ist, dass die Teilzeitarbeit aus behinderungsbedingten Gründen erfolgt und der Betreffende aufgrund Art und Schwere seiner Behinderung nicht in der Lage ist, auch nur vorübergehend arbeitstäglich mehr als die von ihm normalerweise zu erbringende Arbeitszeit zu leisten. In diesem Fall darf sich der Arbeitnehmer auf die Verpflichtung des Arbeitgebers zur behinderungsgerechten Beschäftigung, die auch die Arbeitszeit mit einschließt, berufen.
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Kommentare
muss ich Samstag u Sonntag arbeiten
Bin im Pflegeberuf am arbeiten nun meine Frage muss ich also Samstag u Sonntag arbeiten habe 50 0\0 u eine 30 Stunde Woche deshalb meine Frage muss ich an s Wochenende arbeiten
Teilzeit und schwerbehindert + Überstunden
Hallo,
ich arbeite im Schichtdienst 30 std./Woche und bin 50 % schwerbehindert. Oft werden Überstunden fällig, für mich und meinen Gesundheitszustand leider viel zu oft. Auch kann ich seit langem nicht mehr die ärztl. Termine wahrnehmen, wie ich eigentlich sollte, weil ich zu erschöpft bin oder keine Zeit habe.
Ich bekomme immer wieder gesagt: Teilzeitkräfte können bis zur Vollzeit immer zu Überstunden herangezogen werden und müsse das so hinnehmen. Unser Schichtdienst geht auch 24 std. (inkl. 7 std. Bereitschaft) und dann kommen noch stundenweise Dienste an Tagen unter der Woche vor.