Unternehmenskultur: Wann kommt die Wende?
Warum die deutsche Wirtschaft eine neue Unternehmenskultur braucht
Am 31. März dieses Jahres war es wieder einmal so weit: Das Berliner Beratungsunternehmen Gallup veröffentlichte zum 13. Mal den Engagement Index Deutschland. Die Studie gibt Auskunft darüber, wie hoch der Grad der emotionalen Bindung von Mitarbeitern an das Unternehmen und deren Motivation und Engagement bei der Arbeit ist. Nach Sichtung der Ergebnisse ist man - leider - geneigt zu sagen: Alles beim Alten!
Von den 1.368 Befragten gaben 84% an, keine oder nur eine geringe Bindung zum Arbeitgeber zu haben. Rund 40% waren der Ansicht, dass ihr Unternehmen nicht in der Lage sei, Talente oder Fachkräfte anzuwerben; fast 60% glauben gute oder bessere Chancen zu haben, einen neuen Job bei einer anderen Firma zu finden. Eine beängstigende Entwicklung hat die Anzahl der Burn Out-gefährdeten Arbeitnehmer genommen: 43% der Befragten hatten in den letzten 30 Tagen vor der Befragung das Gefühl, ausgebrannt zu sein. Nie zuvor wurde ein höherer Wert gemessen.
Immerhin: Der Anteil der inneren Kündigungen ist im Vergleich zum Vorjahr von 24 Prozent auf 17 % geschrumpft. „Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels scheint sich in Unternehmen mehr und mehr die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Qualität der Führung und die Unternehmens-kultur entscheidend sind, um Mitarbeiter zu binden“, erklärt Marco Nink, Senior Practice Consultant bei Gallup, die aktuelle Entwicklung. Die Hauptrolle in diesem Prozess spielt fast immer der direkte Vorgesetzte. „Unsere aktuellen Daten deuten darauf hin, dass sich das Führungsverhalten und damit auch die Qualität des Arbeitsumfeldes verbessert haben. Die Arbeitnehmer fühlen sich mehr als Teil eines größeren Ganzen“, so Marco Nink. Sie können ihre Talente besser einsetzen und wissen deutlich früher, was von ihnen erwartet wird. Die Führungskräfte binden sie häufiger in Entscheidungen ein und geben ihnen das Gefühl, einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten.
Trotz dieser positiven Tendenzen sind aber nach wie vor acht von zehn Mitarbeiter nicht mit Herz, Hand und Verstand bei der Arbeit – kurz um: Sie sind nicht hoch emotional an ihren Arbeitgeber gebunden. Marco Nink: „Mitarbeiter werden zwar weniger demotiviert, aber durch das Führungsverhalten noch lange nicht zu Höchstleistung angespornt.“
Was ist den Vorständen, Geschäftsleitungen und Führungskräften als Fazit dieser Studie zu empfehlen?
Abgeleitet von den ersten Lichtblicken am Führungshorizont scheint es eine Frage der Unternehmenskultur, der Haltung und Achtsamkeit der Führungskräfte zu sein, ob es gelingt, Mitarbeiter eng an das Unternehmen zu binden. Der Volksmund würde sagen: Der Fisch stinkt immer vom Kopfe her! Die Initiative zur Einleitung eines tiefgreifenden Veränderungsprozesses muss also bei denjenigen liegen, die im Unternehmen die Verantwortung tragen. Und diese Initiative muss bald kommen, da erfolgreiche Mitarbeiterrekrutierung und -bindung für die Unternehmen in den kommenden Jahren überlebensnotwendig sein wird. Der Arbeitsmarkt deckt schon heute kaum mehr die Nachfrage, geschweige denn im Jahr 2020: Die Baby Boomer-Jahrgänge gehen langsam in Rente, die Bevölkerungsentwicklung ist weiter rückläufig und Vollbeschäftigung wird nahezu erreicht sein.
Am 13. Oktober 2013 hat es meiner Wahrnehmung nach eine große deutsche Zeitung das erste Mal wirklich auf den Punkt gebracht. Die FAZ am Sonntag titelte: „Die neue Macht der Arbeitnehmer - Die Jungen können sich Ihre Jobs aussuchen, die Älteren haben mehr Optionen denn je. Bloß die Arbeitgeber haben das noch nicht gemerkt.“
Es muss also für die Unternehmen in Zukunft darum gehen, ein in jeder Hinsicht attraktiver Arbeitgeber zu werden. Zu einen, um gute Mitarbeiter zu halten; des weiteren, um auf dem Arbeitsmarkt befindliche Talente und Potenzialträger anwerben zu können.
Was genau muss sich in den Unternehmen dafür verändern?
Wir alle werden bewusst und unbewusst durch unsere Werte gesteuert. Unsere Werte treiben uns an, sie sind der Motor unserer Motivation. Sie drücken aus, was uns im Leben und im Beruf besonders wichtig ist. Für viele Menschen sind Werte wie Freude bei der Arbeit, Sinn, Anerkennung, Kollegialität und Gerechtigkeit wichtige Faktoren, um glücklich und zufrieden im Job zu sein. Sind unsere Werte überwiegend nicht erfüllt, zum Beispiel, weil uns die Aufgabe nicht mehr mit Sinn erfüllt oder die Herausforderung fehlt, macht sich Frust und Unzufriedenheit breit. Die eigenen Werte zu kennen ist wichtig; denn so können Sie selbst an den Stellschrauben drehen, um etwas in die gewünschte Richtung zu verändern. Doch kennen Sie auch die Werte Ihres Vorgesetzten oder Ihrer Kollegen? Wissen Sie als Chef, welche Werte Ihren Mitarbeitern besonders wichtig sind? Dieses Wissen eröffnet Ihnen die Möglichkeit, gezielt Ihre Mitarbeiter zu entwickeln, deren Verhalten besser zu verstehen und sie zu motivieren. Nur wer als Vorgesetzter die Wertevorstellungen seiner Mitarbeiter kennt, kann wirkungsvoll führen.
Werteorientierte Führung beschreibt also den Kern einer neuen, wünschenswerten, für die Unternehmen notwendigen Unternehmenskultur. Und hier liegt die große Herausforderung: Werteorientierte Führung bedeutet nicht die Einführung eines neuen Tools für Führungskräfte! Es bedeutet radikales Umdenken, einen Paradigmenwechsel. Das braucht Zeit, viel Zeit: Angefangen von der Überzeugung und Verinnerlichung durch die Geschäftsleitung, weiter über das (Vor-)Leben im täglichen Miteinander bis hin zur Integration bei allen Führungskräften und ihrer Teams.
Es bedeutet im Einzelnen, sich von vielen obligatorischen Sichtweisen zu verabschieden:
Weg von
- der Orientierung am shareholder value,
- Kurzfristdenken,
- Führung durch Kontrolle, Distanz, Misstrauen, Druck,
- der alleinigen Steuerung über Zahlen, Daten, Fakten,
- Standardisierung und Gleichförmigkeit
- der Sichtweise ‚Kostenfaktor Mensch’
- der Gleichschaltung von Meinungen
Hin zu
- dem Menschen und seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt,
- gemeinsamen Zielen,
- Vertrauen, Respekt, Anerkennung, Wertschätzung
- Beachtung, Sinnhaftigkeit, Selbstbestimmung
- der Förderung der soft/social skills
- Handeln aus eigener Überzeugung, auch gegen die Meinung des Vorgesetzten
- der Nutzung firmeninterner Potenziale (Erfahrung/Intuition)
- Qualität und Kundenorientierung
Wenn dieser grundlegende Wandel gelingt, wird sich nachhaltiger Unternehmenserfolg einstellen. Zum Wohle jedes einzelnen Mitarbeiters, der Kunden und Lieferanten - des Unternehmens im Ganzen.
Quellen:
Studie zum Gallup Engagement Index 2013
Patrick D. Cowden: Neustart
FAZ am Sonntag, Ausgabe vom 13.10.2013
Dr. Bernd Slaghuis, Wirkungsvolle Führung durch Wertschätzung
Hier finden Sie weitere Beiträge zu unserem Projekt Kurswechsel: Frischer Wind für Business und Karriere.
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