Befristeter Arbeitsvertrag: Kettenbefristung mit Sachgrund ist nur bei Rechtsmissbrauch unzulässig
Arbeitnehmerin hatte wegen dreizehnmaliger Kettenbefristung in 11 Jahren geklagt
Die Befristung eines Arbeitsvertrags kann laut zwei gestern veröffentlichter Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) trotz Vorliegens eines Sachgrunds aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam sein. Für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs können insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber sprechen. Im ersten Fall beschäftigte sich das Gericht mit dem vom EuGH entschiedenen Fall „Kücuk“ (EuGH, Urteil vom 26.01.2012, C-586/10). Dabei war die Klägerin beim beklagten Land aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 beim Amtsgericht Köln tätig. Die befristete Beschäftigung diente fast durchgehend der Vertretung von Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Mit ihrer Klage griff die Frau die Befristung des letzten geschlossenen Vertrages mit der Argumentation an, dass das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmissbräuchlich ausgenutzt habe. Das BAG hatte das Verfahren dem EuGH vorgelegt.
Mehrfach befristeter Arbeitsvertrag mit Sachgrund kann laut EuGH Rechtsmissbrauch bedeuten
Der EuGH entschied, dass der Umstand, dass ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreife, weder der Annahme eines sachlichen Grundes im Sinne der europäischen Rahmenvereinbarung entgegen stehe, noch dass daraus das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung folge. Die nationalen Gerichte müssten aber auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie einen Hinweis auf Missbrauch geben können, den die europäische Rahmenvereinbarung verhindern solle. Bei dieser Prüfung könnten sich die Zahl und Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.
BAG verweist auf strenge Prüfung des Einzelfalls und auf Treu und Glauben
Hiervon ausgehend hat das BAG den Fall zur erneuten Prüfung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Die Bundesrichter entschieden, dass das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegensteht, sondern an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden kann. Allerdings könne unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrages trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. Das entspreche den sich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergebenden Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch seien hohe Anforderungen zu stellen. Es seien dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen. Dem beklagten Land solle Gelegenheit zu geben, noch besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmissbrauchs entgegenstehen (BAG, Urteil vom 18.07.2012; Az.: 7 AZR 443/09).
Viermalige Befristung über fast 8 Jahre ist noch kein Rechtsmissbrauch
Im zweiten entschiedenen Fall wies das BAG – wie schon die Vorinstanzen – die Befristungskontrollklage einer anderen Klägerin ab. Diese war vom 01.03.2002 bis zum 30.11.2009 aufgrund von vier jeweils befristeten Arbeitsverträgen bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Die letzte im Januar 2008 vereinbarte Befristung erfolgte zur Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers. Die Befristung sei nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt, so die Bundesrichter. Angesichts der Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten sowie der Anzahl von vier Befristungen gab es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs (BAG, Urteil vom 18.07.2012; Az.:7 AZR 783/10).
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