Werte im Unternehmen: Gerechtigkeit und Berechenbarkeit als Schlüsselfaktoren
Ist das gerecht? Gerechtigkeit und Berechenbarkeit werden als Werte oft unterschätzt
Werte beschreiben die Grundsätze, nach denen ein Unternehmen, seine Führung und seine Mitarbeiter handeln, um die Unternehmensziele zu erreichen. Sie determinieren, was akzeptabel ist und was nicht. Vertrauen ist derzeit in aller Munde, aber Gerechtigkeit und Berechenbarkeit werden oft unterschätzt. Doch ohne Gerechtigkeit und Berechenbarkeit kommt kein Vertrauen zustande.
In nahezu jeder Organisation gibt es einen inneren Kreis von Auserwählten: die Lieblinge des Chefs. Sie genießen Privilegien, die nicht jedem vergönnt sind: Sie werden öfter gelobt, ihre Fehler werden augenzwinkert übersehen, sie gelangen an wertvolle Informationen, die anderen vorenthalten werden, sie werden eher befördert. Wer nicht „dazu“ gehört, wird oft übergangen, dessen Vorschläge werden ignoriert und dessen Arbeit wird kaum gewürdigt. Der Umgang mit ihnen beschränkt sich auf das Nötigste. Sie sind die graue Masse, die praktischen Ja-Sager, eine niedere Kaste.
Über „In-Gruppen“ und „Out-Gruppen“
Bereits in den späten 90ern brachte eine Forschungsgruppe der französischen Wirtschaftshochschule INSEAD zutage, dass 90 Prozent aller Vorgesetzten ihre Mitarbeiter in kürzester Zeit in eine „In-Gruppe“ und eine „Out-Gruppe“ einteilen. Während sie erstere als Leistungsträger betrachten, werden die Mitarbeiter der zweiten Gruppe wie eine Truppe von Hilfskräften behandelt, denen sie mit Respektlosigkeit und strenger Autorität begegnen. Innerhalb von nur fünf Tagen, so die Studie, würde es zu einer solchen Klassifizierung kommen, wobei erste Eindrücke, Unverträglichkeiten, kleine Patzer und abfällige Bemerkungen Dritter eine große Rolle spielen.
Auch wenn es sich dabei um eine komplexitätsreduzierende Strategie des Gehirns handelt, auf die Unbedarfte - ohne es zu wollen - hereinfallen mögen, ist solches Verhalten schädlich, und zwar aus zwei Gründen: Wer zum Versager gestempelt wird, wird auch bald ein Versager sein, das ist die sich selbst erfüllende Prophezeiung. Zweitens ist Gerechtigkeit uns Menschen unglaublich wichtig, Frauen mehr noch als Männern. Wer Kinder hat, der weiß, wie bereits die ganz Kleinen darüber wachen, dass es beim Teilen gerecht zugeht. Und wehe, man bringt nur einem Kind etwas mit.
Was gerecht sein bedeutet
Gerecht sein heißt, fair mit Menschen umzugehen, bei jedem die gleichen Spielregeln anzuwenden und emotional unbestechlich zu sein. Es heißt hingegen nicht, alle exakt gleich zu behandeln, denn jeder Mensch ist einzigartig. Eine gerechte Führungskraft handelt quasi wie ein guter Schiedsrichter, der im Interesse des Spielverlaufs eine gewisse Toleranzbreite nutzt, ohne aber parteiisch zu sein.
Auf mangelnde Gerechtigkeit und ungerechtfertigte Bevorzugung reagieren wir mit Empörung. Ein Manko an Fairness sowie Übervorteilung werden übrigens, so fanden Hirnforscher heraus, in der für Abscheu zuständigen Region unseres Gehirns gespeichert. Wir verzichten sogar auf Vorteile, wenn uns eine Sache ungerecht erscheint.
Dies wurde mit dem berühmten Ultimatum-Spiel getestet. Hierbei bekam eine Versuchsperson 100 Dollar mit der Auflage, diese mit einem Mitspieler zu teilen, egal in welchem Verhältnis. Wenn der Mitspieler akzeptierte, bekamen beide das Geld. Akzeptierte jener nicht, gingen beide leer aus. So musste derjenige, der den Betrag teilte, aufpassen, dass er nicht zu wenig gab, da schäbige Angebote abgelehnt wurden. Fast allen Mitspielern war es lieber, dass keiner etwas bekam, als sich mit einem Minimalbetrag abspeisen zu lassen. Im Durchschnitt wurde der Gesamtbetrag etwa 60:40 aufgeteilt.
Ein Chef muss auch berechenbar sein
Mitarbeiter brauchen Vorgesetzte, auf deren Aussagen sie sich verlassen können. Nicht eingehaltene Zusagen aus Bewerbungs- oder Jahresgesprächen wie auch jede Art von Unzuverlässigkeit sind Gift für die Motivation. Mitarbeiter verachten außerdem risikoscheue, entscheidungsschwache Manager mit Zickzack-Kurs, die sich alles bieten lassen. Denn das verunsichert und hindert bei der Arbeit.
Reagiert eine Führungskraft heute so und morgen ganz anders, dann weiß bald niemand mehr, wie er sie zufriedenstellen kann. Passivität ist die Folge. Schlimmer noch sind Geheimniskrämerei, Günstlingswirtschaft und das Einen-gegen-den-anderen-Ausspielen. Dies verursacht irreparable Vertrauensbrüche, innere Kündigung und schließlich Emigration.
Berechenbarkeit bedeutet auch, das Spielfeld mit seinen Regeln und Grenzen festzulegen, auf dem die Leute spielen sollen. Dies erfordert, seine Erwartungen an die Mitarbeiter klipp und klar zu artikulieren. Nur dann nämlich können diese auch erfüllt werden. „Sagen Sie Ihren Mitarbeitern vorher, wie Sie auf bestimmte Verhaltensweisen reagieren werden und äußern Sie konkret, welche Erwartungen Sie ganz genau haben“, meint Berater Thomas Hochgeschurtz. Wie wichtig ist Ihnen Pünktlichkeit? Wie soll man aufgetretene Fehler melden? Dies sind nur zwei Beispiele von vielen.
Handlungsspielräume gemeinsam besprechen
Geben Sie Ihren Mitarbeitern auch eine Chance in Dilemma-Situationen. Dies klappt am besten, wenn Sie vorher mit den Mitarbeitern gemeinsam den sinnvollen Handlungsspielraum definiert haben. Wenn Ihre Mitarbeiter wissen, was etwa ein mangelhaftes Produkt für Folgen bei den Kunden hat, wie teuer ein meldepflichtiger Arbeitsunfall ist und warum in Ihrer Firma Qualität vor Produktivität geht, werden Ihre Leute sich entsprechend verhalten und diesen Handlungsspielraum optimal ausgestalten.
Sprechen Sie aber nicht nur über Erwartungen, priorisieren Sie diese auch. Würde ich beispielsweise Ihre Mitarbeiter fragen, was wohl die drei Top-Erwartungen sind, die Sie haben, bekäme ich dann die richtigen Antworten? Sicher? Prima! Wahrscheinlich nein? Dann handeln Sie sofort! Ein weiterer Hinweis: Besprechen Sie auch gemeinsam die Konsequenzen, falls ein Mitarbeiter sich nicht an die Abmachungen hält. Und ziehen Sie diese, wenn nötig, konsequent durch. Genau damit bleiben Sie berechenbar.
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