Arbeitgeber hat Behinderung der Betriebsratsarbeit zu unterlassen
Ein Arbeitgeber darf seiner Belegschaft Prämien in Aussicht stellen. Es liegt jedoch ein unzulässiger Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des Betriebsrats vor, wenn er als Bedingung für die Sonderzahlungen verlangt, dass eine befristete Betriebsvereinbarung unbefristet gilt. Das geht aus einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamburg hervor.
Der Fall aus der Praxis
Ein Unternehmer, der mehrere Warenhäuser betreibt, gewährte eine Sonderzahlung an Mitarbeiter, die in einem Haus arbeiten, das an allen sechs Werktagen bis 22 Uhr geöffnet hat und dessen Öffnungszeiten in einer zeitlich unbefristeten Betriebsvereinbarung geregelt sind. Die Arbeitnehmer eines anderen Warenhauses erhielten die Sonderzahlung nicht. Auf Nachfrage des Betriebsrats teilte der Arbeitgeber mit, dass er die Sonderzahlung nur dann gewähre, wenn der Betriebsrat eine zeitlich unbefristete Betriebsvereinbarung über die Ladenöffnungszeiten bis 22.00 Uhr abschließe. Der Arbeitgeber wies seine Mitarbeiter über ein Rundschreiben auf diese Handhabung hin. Er teilte auch mit, dass es sich bei dieser Zahlung um eine freiwillige Leistung handele, die keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründe. Der Betriebsrat vertrat die Ansicht, dass das Verhalten des Arbeitgebers die Betriebsratsarbeit behindere, weil er von ihm fordere, auf Mitbestimmungsrechte gegen die Gewährung von Vergünstigungen an die Mitarbeiter zu verzichten. Der Betriebsrat müsse damit rechnen, von der Belegschaft unter Druck gesetzt zu werden, eine unbefristete Betriebsvereinbarung über die Ladenöffnungszeiten abzuschließen, damit diese die Sonderzahlung erhalten. Er beantragte deshalb beim Arbeitsgericht, den Arbeitgeber zu verpflichten, die Behinderung der Betriebsratstätigkeit zu unterlassen.
Das sagt der Richter
Das Gericht gab dem Antrag des Betriebsrats statt. Das beanstandete Verhalten des Arbeitgebers stelle eine Behinderung der Amtstätigkeit des Betriebsrats dar. Der Begriff der Behinderung in § 78 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) sei umfassend zu verstehen und beinhalte jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit unterlägen dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Die Interessen der Belegschaft und des Arbeitgebers könnten in dieser Frage weit auseinander liegen. Im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit stünden den Betriebsparteien auf dem Wege zu einer Einigung in dieser Frage viele Möglichkeiten offen. Es sei auch nicht zu beanstanden, wenn beide Seiten ihre Argumente in die Betriebsöffentlichkeit tragen. Auch die Schaffung eines finanziellen Anreizes an die Belegschaft für die Zustimmung des Betriebsrats zu bestimmten Arbeitszeiten gehöre dazu. Die Zahlung einer freiwilligen Zulage für längere Ladenöffnungszeiten dürfe im Mitbestimmungsverfahren in Aussicht gestellt werden. Der auf den Betriebsrat entstehende Druck – auch vermittelt durch die Mitarbeiter – sei Teil des demokratischen Prozesses und damit der alltäglichen Betriebsratsarbeit. Sowohl das Mittel (Prämie) als auch der Zweck (unbefristete Betriebsvereinbarung) als solche seien nicht zu missbilligen. Durch die Verknüpfung des gewählten Mittels mit dem Zweck werde der Betriebsrat jedoch in seiner Entscheidungsfreiheit unzulässig beeinflusst. Denn im Streitfall könne es durch die Verknüpfung der Prämienzahlung mit der Voraussetzung, dass die zugrunde liegende Betriebsvereinbarung unbefristet gelte, dazu kommen, dass die Ladenöffnungszeiten verlängert werden und dennoch keine Sonderzahlung erfolge. Der auf dem Betriebsrat liegende Druck ergebe sich damit nicht aus dem Wunsch der Belegschaft, längere Ladenöffnungszeiten gegen Sonderzahlung zu ermöglichen, sondern aus der den Mitarbeitern kaum noch zu vermittelnden Position des Betriebsrats, zwar längere Öffnungszeiten zu ermöglichen, allerdings mit einer befristeten Vereinbarung und der Folge, dass keine Sonderzahlung erfolgt. Damit ziele die Position des Arbeitgebers aus dem Rundschreiben nicht auf ein Geben und Nehmen ab, sondern beträfe die Gestaltung der Betriebsvereinbarung und bringe den Betriebsrat in erhebliche Rechtfertigungszwänge (LAG Hamburg, Beschluss vom 20.12.2010, Az.: 7 TaBV 4/10).
Das bedeutet die Entscheidung
Bei Verstößen gegen das Behinderungsverbot i. S. d. § 78 Satz 1 BetrVG können sowohl der Betriebsrat als auch seine betroffenen Mitglieder Unterlassungsansprüche geltend machen. Mit anderen Worten sind Anweisungen des Arbeitgebers, die dem Verbot des § 78 BetrVG (Wortlaut siehe unten) widersprechen, unwirksam und für die Betriebsratsmitglieder unbeachtlich. Die Verbotsnorm hat zur Folge, dass der Störer (hier der Arbeitgeber) gegenüber dem unmittelbar behinderten Funktionsträger (hier der Betriebsrat) zur Unterlassung verpflichtet ist.
§ 78 Schutzbestimmungen
Die Mitglieder des Betriebsrats, des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Wirtschaftsausschusses, der Bordvertretung, des Seebetriebsrats, der in § 3 Abs. 1 genannten Vertretungen der Arbeitnehmer, der Einigungsstelle, einer tariflichen Schlichtungsstelle (§ 76 Abs. 8) und einer betrieblichen Beschwerdestelle (§ 86) sowie Auskunftspersonen (§ 80 Abs. 2 Satz 3) dürfen in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. Sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.
Betriebsratsmitglieder sollen ihr Amt ungestört ausüben können
Die Vorschrift des § 78 BetrVG soll den Betriebsverfassungsorganen und ihren Mitgliedern eine ungestörte und unbeeinflusste Amtsausübung gewährleisten und die einzelnen Mitglieder in ihrer persönlichen Stellung, vor allem als Mitarbeiter des Betriebes, vor Nachteilen wegen ihrer Amtsstellung bewahren. Der Schutz erstreckt sich sowohl auf die Tätigkeit der Organe als auch auf die ihrer einzelnen Mitglieder. Als Behinderung i. S. d. Vorschrift gilt jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit.
Rechtsprechung gibt Richtung vor
Eine Störung oder Behinderung der Tätigkeit des Betriebsrats bzw. seiner Mitglieder kann nach der Rechtsprechung in den folgenden Fällen vorliegen:
- Ablehnung der Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG
- bewusste und wiederholte Missachtung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats
- ständige Unterlassung der Mitteilungs- und Auskunftspflicht nach § 99 Abs. 1, 102 Abs. 1, 105 BetrVG
- Anbrüllen und körperliche Gewalt gegen Betriebsratsmitglieder
- Verhinderung bzw. Behinderung von Betriebsratssitzungen oder Betriebs- bzw. Abteilungsversammlungen
- Verweigerung des Zutritts eines Betriebsratsmitglieds zum Betrieb, dessen Kündigung beabsichtigt oder schon ausgesprochen ist
- Verpflichtung der Mitarbeiter zum Schweigen gegenüber dem Betriebsrat
- Öffentlicher Aushang des Arbeitgebers mit der Empfehlung, eine Betriebsversammlung nicht zu besuchen
- Versprechen des Arbeitgebers, bei Nichtteilnahme an einer Betriebsversammlung einen halben Tag Zusatzurlaub zu gewähren
- Ablehnung der erforderlichen Räume und sachlichen Mittel nach § 40 Abs. 2 BetrVG
- Eigenmächtiges Entfernen von Betriebsratsinformationen –und Anschlägen vom „Schwarzen Brett“
- Verweigerung der Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG.
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