Mitbestimmungspflichtige Versetzung durch Teilentzug von Aufgaben
Teilentzug – Umsetzung oder mitbestimmungspflichtige Versetzung
Versetzungen bilden immer wieder Streitpotenzial zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber.
Rechtlich ist dabei entscheidend, ob es sich um eine mitbestimmungspflichtige Versetzung i. S. d. § 95 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) oder um eine mitbestimmungsfreie „Umsetzung“ handelt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hat die zahlreiche Rechtsprechung dazu jetzt um eine weitere Variante bereichert. Fraglich war, in wieweit der Teilentzug von Aufgaben als mitbestimmungspflichtigen Versetzung anzusehen ist.
Der Fall
Betriebsrat und Arbeitgeber stritten über den Anspruch auf Aufhebung einer personellen Einzelmaßnahme bezüglich einer Versetzung.
Der Arbeitgeber, der regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt, ist in der Fertigung von Betonprodukten tätig. Der betreffende Arbeitnehmer X war Mitglied des Betriebsrates. Er wurde am 01.07.2002 als Staplerfahrer eingestellt. Er ist seitdem im Arbeitsbereich "Verladung" beschäftigt, in welchem neben einem Meister insgesamt zehn weitere Arbeitnehmer tätig sind.
X wurde in dieser Abteilung bis Mitte Mai 2010 zusätzlich als Vorarbeiter eingesetzt. Der Meister ist dort nur in der Frühschicht, nicht aber in der Mittagsschicht tätig. Die Vorarbeiterfunktion fällt in der Mittagsschicht sowie bei krankheits- oder urlaubsbedingter Abwesenheit des Meisters an. Für die zusätzliche Vorarbeitertätigkeit erhielt X eine Funktionszulage von circa 10 % seines Stundenlohns. In den Monaten Januar 2009 bis April 2009 fiel für ihn aufgrund von Kurzarbeit weniger Vorarbeitertätigkeit an. Der Arbeitgeber rechnete zu seinen Gunsten für Mai 2009 trotzdem eine Funktionszulage für die Vorarbeitertätigkeit über 117 Stunden ab. Für Juni 2009 rechnete er eine Funktionszulage über 62 Stunden, für Juli 2009 über 117 Stunden, für August 2009 über 85 Stunden und für September 2009 über 63 Stunden ab.
Betriebsrat will Versetzung aufheben
Im zuletzt genannten Monat erkrankte X. Seine Arbeitsunfähigkeit dauerte bis Anfang April 2010. Mitte Mai 2010 teilte der Meister X mit, dass er künftig nur noch als Staplerfahrer eingesetzt werde.
Mit anwaltlichem Schreiben forderte der Betriebsrat den Arbeitgeber auf, X wieder in seiner bisherigen Funktion einzusetzen. Dieser teilte dem Betriebsrat daraufhin schriftlich mit, dass eine Versetzung X vom Vorarbeiter zum Staplerfahrer zu keiner Zeit stattgefunden habe. X sei als Staplerfahrer eingestellt worden und arbeite nach wie vor in dieser Funktion.
Der Betriebsrat beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht, die Versetzung rückgängig zu machen. Das Arbeitsgericht entsprach dem Antrag, woraufhin der Arbeitgeber Rechtsbeschwerde beim LAG erhob.
Das sagt der Richter
Die Beschwerde der Arbeitgeberin, gegen deren Zulässigkeit keinerlei Bedenken bestehen, ist laut LAG unbegründet.
Die Vorinstanz habe richtig erkannt, dass die Mitte Mai 2010 erfolgte Nichteinsetzung des Mitarbeiters H. als Vorarbeiter in dem Bereich "Verladung" eine mitbestimmungspflichtige Versetzung nach § 95 Absatz 3 BetrVG darstelle.
Versetzung ist danach die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die die voraussichtliche Dauer von einem Monat überschreitet. Der "Arbeitsbereich" wird durch die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs umschrieben. Der Begriff sei räumlich und funktional zu verstehen. Er umfasse neben dem Ort der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation.
Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handle es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine "andere" anzusehen ist. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs erfüllt für sich allein den Versetzungsbegriff des § 95 Absatz 3 BetrVG allerdings nur dann, wenn sie für längere Zeit als einen Monat geplant ist.
Auch Teilentzug von Aufgaben ist Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs
Eine mitbestimmungspflichtige Versetzung kann sich aber auch dadurch ergeben, dass dem Arbeitnehmer eine neue Teilaufgabe übertragen und ein Teil der bisher wahrgenommenen Funktionen entzogen wird. Dabei muss die neu übertragene oder entzogene Aufgabe nicht unbedingt innerhalb der Gesamttätigkeit überwiegen. Maßgeblich ist vielmehr, dass sie der Letzteren ein solches Gepräge gibt, das nach ihrem Hinzutreten oder Wegfall insgesamt von einer anderen Tätigkeit ausgegangen werden kann. Es geht diesbezüglich um eine erhebliche Änderung der Teilfunktionen.
Zeitlicher Anteil ist für mitbestimmungspflichtige Versetzung nicht allein ausschlaggebend
Der Anteil der Funktion als Vorarbeiter betrug für den Mitarbeiter X vor der Zeit seiner Erkrankung im September 2009 ausweislich der in den Lohnabrechnungen für die Monate Mai bis September 2009 abgerechneten Funktionszulage für die von ihm erbrachte Vorarbeitertätigkeit mehr als 20 % seiner Gesamtarbeitszeit.
Im Übrigen ist für die Beantwortung der Frage, ob von einer Versetzung auszugehen ist, nicht allein auf den zeitlichen Anteil der Veränderung abzustellen. Vielmehr ist hier zu berücksichtigen, dass die Vorarbeitertätigkeit des Arbeitnehmers X seine Gesamttätigkeit auch qualitativ geprägt hat.
Er hat nämlich, sobald er die Funktion eines Vorarbeiters übernommen hat, eine höhere Verantwortung im Vergleich zu seiner Staplerfahrertätigkeit getragen. Dies hat auch die Arbeitgeberin eingeräumt und die hier in Rede stehende Vorarbeitertätigkeit durch die Zahlung der Funktionszulage von 10 % honoriert.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, das X die Vorarbeiterfunktion nicht vertraglich zugesichert war. Es reicht aus, dass diese Funktion ihm durch Ausübung des Direktionsrechts der Arbeitgeberin zugewiesen wurde.
Da der Arbeitgeber X einen anderen Arbeitsbereich durch den Entzug der Vorarbeiterfunktion auf Dauer, also für mehr als einen Monat, zugewiesen hat, musste er zuvor die Zustimmung des Betriebsrats einholen. Dies ist nicht geschehen. Daher war, wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat, der Arbeitgeberin aufzugeben, die personelle Maßnahme aufzuheben (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.2011; Az.: 11 TaBV 80/10).
Das bedeutet die Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen. Diese wurde mittlerweile unter dem Aktenzeichen 7 ABR 28/11 eingelegt.
§ 95 BetrVG
(3) Versetzung im Sinne dieses Gesetzes ist die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet, oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Werden Arbeitnehmer nach der Eigenart ihres Arbeitsverhältnisses üblicherweise nicht ständig an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt, so gilt die Bestimmung des jeweiligen Arbeitsplatzes nicht als Versetzung.
Anhand des Beschlusses wird deutlich, dass es bezüglich der Abgrenzung einer mitbestimmungspflichtigen Versetzung kaum konkret fassbare, allgemeine Kriterien gibt. Die vom LAG in der Entscheidung verwendeten Begrifflichkeiten „Gepräge“ oder „erhebliche Änderung“ sind diesbezüglich mehr als unbestimmte Rechtsbegriffe.
Entscheidend für die Abgrenzung der Mitbestimmung beim Entzug von Teilaufgaben ist allerdings grundsätzlich die jeweilige Ausgestaltung der individuellen Tätigkeit.
So kann bspw. ein Entzug von Funktionen in Höhe von 20 % der Arbeitszeit bei einer bestimmten Tätigkeit keine wesentliche Rolle spielen, hingegen ein Entzug von Teilaufgaben von 8 % bei einer anderen Tätigkeit durchaus relevant sein.
Quantitative Untergrenze ist umstritten
Es wird unter Fachleuten heftig diskutiert, ob es eine quantitative Untergrenze gibt, bei der der Entzug oder die Hinzufügung von Teilfunktionen regelmäßig als unerheblich anzusehen sind. Meist wird hier eine Grenze von 20 % genannt. Das Bundesarbeitsgericht hat sich diesbezüglich noch nicht dazu geäußert – es bleibt also spannend.
Tipp
Das Thema Mitbestimmungsrecht bei Versetzungen sollten Arbeitgeber und Personalverantwortliche nicht unterschätzen. Die meisten Betriebsräte reagieren hier empfindlich – und zwar nicht nur, wenn es um ein selbst betroffenes Mitglied wie in der Düsseldorfer Entscheidung geht.
Mitbestimmungspflichtige Versetzungen in der Praxis
Grundvoraussetzung für die Mitbestimmungspflicht ist – wie erwähnt – die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs. Dies kann durch
- Zuweisung eines anderen Arbeitsorts,
- Zuweisung einer anderen Arbeitsabteilung,
- Zuweisung einer anderen Arbeitstätigkeit,
- ausdrückliche oder schleichende Erweiterung des bisherigen Aufgabenbereichs,
- ausdrückliche oder schleichender Entzug von Teilaufgaben, soweit diese der bisherigen Tätigkeit das Gepräge gab (s. o.) oder
- durch die erhebliche Veränderung der Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist,
geschehen. In diesen Fällen sollte der Arbeitgeber grundsätzlich um Zustimmung des Betriebsrats nachsuchen.
Aufpassen
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats greift allerdings immer erst dann ein, wenn die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs länger als einen Monat andauern soll.
Auch in Fällen, in denen der Arbeitnehmer aufgrund der besonderen Eigenart des Arbeitsverhältnisses nicht an einen bestimmten Arbeitsort bzw. Arbeitsplatz gebunden ist (bspw. Monteure), entfällt das Mitbestimmungsrecht.
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