Alkohol am Arbeitsplatz: Nicht jeder Rückfall rechtfertigt krankheitsbedingte Kündigung
Alkohol am Arbeitsplatz: Keine krankheitsbedingte Kündigung wegen Rückfall
Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg ist die krankheitsbedingte Kündigung eines an Alkoholsucht leidenden Arbeitnehmers wegen eines wiederholten Rückfalls während einer ambulanten Therapie unwirksam, wenn zweifelhaft ist, ob eine negative Prognose hinsichtlich des Gesundheitszustandes gestellt werden kann. Kommt es zu keiner erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen, so ist eine Kündigung in jedem Fall ausgeschlossen.
Der Fall
Ein Arbeitnehmer ist in einem Unternehmen als Betriebselektriker beschäftigt. Nachdem der Arbeitgeber von der Alkoholsucht des Arbeitnehmers erfahren hatte, schlossen die Arbeitsvertragsparteien am 05.10.2010 eine Therapievereinbarung. Darin hatte sich der Arbeitnehmer zur Teilnahme an einer ambulanten Therapie verpflichtet. Nach einem zweiten Rückfall im Jahr 2011 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit der Begründung, dass der Arbeitnehmer zum wiederholten Mal gezeigt habe, dass er vom Alkohol nicht loskomme. Es lägen auch betriebliche Beeinträchtigungen vor. Der Elektriker arbeite u. a. an 220-Volt-Stromanlagen, sodass selbst ein einmaliger "Fehltritt" zu erheblichen Verletzungen des Arbeitnehmers oder anderer Mitarbeiter führen könne. Im Übrigen sei mit hohen Fehlzeiten und entsprechendem Vertretungsaufwand zu rechnen, was zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen führe.
Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage.
Das sagt das Gericht
Mit Erfolg. Das Gericht erklärte die krankheitsbedingte Kündigung für unwirksam. Für eine Kündigung wegen einer Alkoholerkrankung müsse
- eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands gestellt werden können,
- eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vorliegen und
- eine Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfallen.
Hinsichtlich der ersten Stufe bestünden Bedenken, ob ein einziger erneuter Alkoholkonsum während einer ambulanten Therapie bei einem an Alkoholsucht leidenden Arbeitnehmer eine negative Prognose rechtfertigen könne. Denn teilweise werde vertreten, dass es keinen Erfahrungssatz gebe, wonach ein Rückfall nach einer zunächst erfolgreichen Entwöhnungskur und längerer Abstinenz ein endgültiger Fehlschlag jeglicher Alkoholtherapie für die Zukunft bedeute.
Ob dies zutreffe, könne hier allerdings dahinstehen, da jedenfalls die Voraussetzungen der zweiten Stufe nicht erfüllt seien. Es fehle an einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Zu etwaigen erheblichen Lohnfortzahlungskosten habe der Arbeitgeber nichts vorgetragen. Der Arbeitnehmer sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Eigen- und Fremdgefährdung als ungeeignet anzusehen. Voraussetzung hierfür wären nämlich alkoholbedingte Ausfallerscheinungen bei der Arbeit. Dass es hierzu seit Abschluss der Therapievereinbarung gekommen wäre, habe der Arbeitgeber nicht vorgetragen (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.09.2012, Az.: 15 Sa 911/12).
Alkoholsucht: Personenbedingte Kündigung oder verhaltensbedingte Kündigung?
Das Thema Alkohol am Arbeitsplatz wird immer dann zum Problem, wenn ein Mitarbeiter alkoholkrank ist und durch seine Alkoholsucht eine Gefahr für sich selbst, die Kolleginnen und Kollegen sowie den Betrieb darstellt.
Wichtiger Hinweis
Als Alkoholkrankheit (auch Alkoholsucht, Alkoholabhängigkeit oder Trunksucht genannt) wird die durch regelmäßiges und übermäßiges periodisches Trinken von Alkohol hervorgerufene chronische Krankheit bezeichnet, die zu körperlichen, psychischen und sozialen Schäden führt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass der Betroffene sein Trinkverhalten nicht mehr willentlich steuern kann. Für den Alkoholkranken entwickeln sich die Beschaffung und der Konsum von Alkohol zum lebensbestimmenden Inhalt. Merkmale einer Alkoholsucht sind z. B.:
- Zwang zum Alkoholkonsum
- fortschreitender Verlust der Kontrolle über das Trinkverhalten
- Vernachlässigung früherer Interessen zu Gunsten des Trinken
- Leugnen des Suchtverhaltens
- Entzugserscheinungen bei vermindertem Konsum
- Toleranz gegenüber Alkohol
- Persönlichkeitsveränderungen
Checkliste zum Download
Wie Sie in Ihrem Betrieb Anzeichen einer Alkoholerkrankung bei einem Mitarbeiter erkennen und richtig deuten können, erfahren Sie anhand unserer Checkliste.
Checkliste Alkohol am Arbeitsplatz: Anzeichen einer Alkoholerkrankung
Beabsichtigt der Arbeitgeber, einem alkoholkranken Mitarbeiter zu kündigen, so gelten hierfür die Regeln des allgemeinen Kündigungsschutzes. Im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) muss die Kündigung zu ihrer Wirksamkeit sozial gerechtfertigt sein gemäß § 1 Abs. 1 KSchG. Voraussetzung hierfür ist, dass ein verhaltensbedingter, personenbedingter oder betriebsbedingter Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gegeben ist. In Betracht kommen bei einer Kündigung wegen Alkohol sowohl die verhaltensbedingte Kündigung als auch die personenbedingte Kündigung.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kommt bei einer nicht therapierbaren Alkoholsucht eines Arbeitnehmers eine krankheitsbedingte Kündigung als personenbedingte ordentliche Kündigung in Betracht, weil Alkoholismus als Krankheit gilt. Eine verhaltensbedingte Kündigung hingegen setzt immer eine schuldhafte Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch ein steuerbares Verhalten voraus. Eine Alkoholsucht ist nicht verschuldet - zumindest existiert kein Erfahrungssatz, nach dem ein Gericht dies annehmen dürfte. Ein Alkoholkranker kann sein Trinkverhalten nicht steuern, was gerade das Wesen einer Sucht ist.
Verstoß gegen betriebliches Alkoholverbot rechtfertigt verhaltensbedingte Kündigung
Eine verhaltensbedingte Kündigung kommt im Zusammenhang mit dem Thema Alkohol am Arbeitsplatz nur in seltenen Fällen in Betracht, z. B. wenn ein nicht alkoholsüchtiger Arbeitnehmer wiederholt gegen ein betriebliches Alkoholverbot (siehe Musterscheiben) verstößt, indem er betrunken am Arbeitsplatz erscheint, seine Pflichten nicht erfüllen kann und andere gefährdet. Einem alkoholkranken Arbeitnehmer kann auch bei derartigen konkreten alkoholbedingten Ausfällen nur personenbedingt gekündigt werden, weil sie ihm als Folge seiner Alkoholerkrankung nicht im Sinne einer schuldhaften Pflichtverletzung vorgeworfen werden können.
Muster-Betriebsvereinbarung zum Download
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