Unkündbarkeit: Fristlose Kündigung wegen Krankheit setzt negative Gesundheitsprognose voraus
Unkündbarkeit - Keine fristlose Kündigung wegen Krankheit ohne negative Gesundheitsprognose
Die tarifliche Unkündbarkeit eines Arbeitnehmers hat zur Folge, dass eine fristlose Kündigung wegen Krankheit nur in einem besonderen Ausnahmefall zulässig ist. Krankheitsbedingte Fehlzeiten von 38 bzw. 57 Arbeitstagen im Jahr sind dem Arbeitgeber nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf zuzumuten (Az.: 14 Sa 1377/11); eine negative Gesundheitsprognose sei aus solchen Fehlzeiten noch nicht zu schließen.
Der Fall aus der Praxis
Eine Arbeitnehmerin mit einer Schwerbehinderung war bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland beschäftigt. Nach den tariflichen Regelungen war sie ordentlich nicht kündbar. Dennoch kündigte die Rentenversicherung das Arbeitsverhältnis fristlos aus „wichtigem Grund“. Als Begründung führte die Arbeitgeberin an, dass für sie die Weiterbeschäftigung nicht mehr zumutbar sei. Die schwerbehinderte Frau sei ständig krank. Seit 2000 habe sie jedes Jahr krankheitsbedingte Fehlzeiten zwischen 38 und 109 Arbeitstagen gehabt, so z. B. 2008 57 und 2009 38 Arbeitstage. Dies deute auf eine negative Gesundheitsprognose mit auch künftig hohen Fehlzeiten hin, sodass eine fristlose Kündigung aus „wichtigem Grund“ gerechtfertigt sei. Die Arbeitnehmerin zog vor Gericht und erhob Kündigungsschutzklage.
Das sagt das Gericht
Mit Erfolg. Das Gericht erklärte die fristlose Kündigung für unwirksam. Bei tariflich ordentlich unkündbaren Beschäftigten gebe es einen verschärften Maßstab, wann diese aus wichtigem Grund fristlos entlassen werden könnten. Zunächst müsse eine negative Gesundheitsprognose vorliegen. In der zweiten Stufe müsse geprüft werden, ob die betrieblichen Interessen wegen der Erkrankung erheblich beeinträchtigt seien. Schließlich müsse in einem dritten Schritt untersucht werden, ob die betrieblichen Beeinträchtigungen eine nicht mehr hinnehmbare Belastung des Arbeitgebers darstellten. Dies sei aber erst der Fall, wenn ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis bestehe, bei dem erhebliche Entgeltfortzahlungskosten für den Arbeitgeber entstünden und der Arbeitgeber bis zum Ruhestand keine nennenswerte Arbeitsleistung mehr zu erwarten habe. Bei der Klägerin habe es zwischen 2006 bis 2010 kein Jahr gegeben, bei dem ein vollständig sinnentleertes Arbeitsverhältnis bestanden habe. Die Belastungen, die dem Arbeitgeber wegen der Fehlzeiten entstanden seien, müsse er daher hinnehmen (LAG Düsseldorf, Urteil vom 05.03.2012, Az.: 14 Sa 1377/11).
Wichtiger Hinweis
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles hat das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht in Erfurt zugelassen.
Unkündbarkeit erreichen Beschäftigte im öffentliche Dienst nach 15 Jahren
Beschäftigte im öffentlichen Dienst können nach § 34 Abs. 2 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bzw. § 34 Abs. 2 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) eine Unkündbarkeit erreichen. Voraussetzungen des Eintritts der Unkündbarkeit sind, dass der Beschäftigte
- eine Beschäftigungszeit von mindestens 15 Jahren im öffentlichen Dienst aufweisen kann und
- das 40. Lebensjahr vollendet hat.
Folge der Unkündbarkeit ist, dass das Arbeitsverhältnis des Beschäftigten nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann. Die Unkündbarkeit gilt jedoch nicht grenzenlos, denn das Beschäftigungsverhältnis kann
- außerordentlich aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen sowie durch
- Änderungskündigung zwecks Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe
gekündigt werden.
Praxis-Tipp
Beachten Sie, dass sich die Unkündbarkeit eines Arbeitsverhältnisses immer nur auf die ordentliche Kündigung bezieht. Außerordentlich kann auch ein ordentlich unkündbares Arbeitsverhältnis stets gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.
Ordentliche Unkündbarkeit durch Sonderkündigungsschutz
Über die Unkündbarkeit können sich in der Privatwirtschaft nur diejenigen Beschäftigten freuen, für die ein Sonderkündigungsschutz besteht. Zu ihnen gehören Betriebsrats- bzw. Personalratsmitglieder, Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung, Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung sowie die betrieblichen Datenschutzbeauftragten.
In der betrieblichen Praxis existieren bisweilen jedoch auch Vertragsklauseln in Arbeitsverträgen, die vorsehen, dass ein Arbeitsverhältnis nach einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit (z. B. 20 Jahre) ordentlich unkündbar ist.
Krankheitsbedingte Kündigung: Prüfung erfolgt anhand der Drei-Stufen-Theorie
Gemäß § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich nur dann gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Bereits bei der ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung erfolgt die Prüfung anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Drei-Stufen-Theorie:
1. In der ersten Stufe wird geprüft, ob eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt (negative Gesundheitsprognose).
2. In der zweiten Stufe wird geprüft, ob eine darauf (negative Gesundheitsprognose) beruhende erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen gegeben ist.
3. In der dritten Stufe findet eine Interessenabwägung statt (führt die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interesse zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers).
Wichtiger Hinweis
Es bedarf bei der außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung auf allen drei Prüfungsebenen eines verschärften Maßstabes, um den hohen Anforderungen Rechnung zu tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind. Eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit einem krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Arbeitnehmer kommt insbesondere in Betracht, wenn ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis besteht, bei dem erhebliche Entgeltfortzahlungskosten für den Arbeitgeber entstehen und der Arbeitgeber bis zum Ruhestand keine nennenswerten Arbeitsleistung mehr zu erwarten hat.
In unserer Checkliste: Krankheitsbedingte Kündigung finden Sie die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung in übersichtlicher Form auf einen Blick
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