Keine Kündigung ohne Betriebsratsanhörung
Wird in einem Betrieb erstmals ein Betriebsrat gewählt, so ist der Arbeitgeber nicht gehalten, mit grundsätzlich anhörungspflichtigen Kündigungen zu warten, bis der Betriebsrat sich konstituiert hat, d. h. handlungsfähig ist.
Der Fall aus der Praxis
Ein Lagerarbeiter veruntreute gemeinsam mit einem leitenden Angestellten mehr als 100.000 €. Am 23.06.2008 erlangte der Arbeitgeber Kenntnis von den kriminellen Machenschaften der beiden Mitarbeiter und kündigte ihnen fristlos. Den Betriebsrat hatte der Arbeitgeber zuvor nicht angehört, weil dieser zu diesem Zeitpunkt zwar gewählt, aber noch nicht konstituiert war. Am 20.06.2008 hatte der Wahlvorstand das Wahlergebnis bekannt gemacht. Am 26.06.09, also nach dem Ausspruch der Kündigungen, kam es zur konstituierenden Sitzung des Betriebsrats. Der gekündigte Lagerarbeiter hielt die Kündigung für unwirksam und klagte.
Das sagt das Gericht
Ohne Erfolg. Die Kündigung sei insbesondere nicht mangels Anhörung des neu gewählten Betriebsrats unwirksam. Eine Anhörungspflicht bestehe erst mit Konstituierung des Betriebsrats. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei der Betriebsrat noch nicht konstituiert gewesen. Grundsätzlich sei jedoch umstritten, ob der Betriebsrat bereits ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses oder erst mit Konstituierung zu einer beabsichtigten Kündigung anzuhören sei. Für eine Anhörungspflicht erst mit Konstituierung des Betriebsrats spreche, dass der Betriebsrat bis zu diesem Zeitpunkt noch funktionsunfähig sei. Bis zur konstituierenden Sitzung gebe es weder einen Vorsitzenden noch einen Vertreter, sodass eine Unterrichtung des Betriebsrats auf unüberwindliche rechtliche und praktische Probleme stoße. Beginne die Anhörungspflicht erst mit der Konstituierung des Betriebsrats, so könne zwar eine "Schutzlücke" zwischen Amtsbeginn und konstituierender Sitzung entstehen. Diese sei jedoch gesetzesimmanent und könne in der Praxis dadurch minimiert werden, dass der Wahlvorstand die konstituierende Sitzung unmittelbar der Bekanntgabe des Wahlergebnisses nachfolgen lasse. Die hier vertretene Ansicht sei auch deshalb sachgerecht, weil die Konstituierung in der Sphäre des Betriebsrats bzw. Wahlvorstands liege. Ihnen obliege es daher, rechtzeitig für einen funktionsfähigen Betriebsrat zu sorgen (LAG Düsseldorf Urteil vom 24.06.2009, Az.: 12 Sa 336/09).
Das bedeutet die Entscheidung
Eine neu gewählte Arbeitnehmervertretung ist erst handlungsfähig, wenn sie die für die Geschäftsführung und Vertretung nach außen erforderlichen Organe gebildet hat. Dies geschieht in der ersten Sitzung nach der Wahl, der sogenannten konstituierenden Sitzung.
Konstituierende Sitzung erweckt den Betriebsrat zum Leben
Der Wahlvorstand ist nach § 29 Abs.1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) verpflichtet, die Mitglieder des neu gewählten Betriebsrats vor Ablauf einer Woche nach dem Wahltag einzuberufen damit diese ihrer aus § 26 Abs.1 BetrVG folgenden Pflicht nachkommen, einen Betriebsratsvorsitzenden zu wählen. Diese erste Sitzung des frisch gewählten Betriebsrats wird als konstituierende Sitzung bezeichnet, weil sich der Betriebsrat erst durch die Wahl eines Vorsitzenden als handlungsfähiges Gremium bildet bzw. „konstituiert“. Denn ohne einen Vorsitzenden fehlt dem Arbeitgeber ein zur Annahme von Erklärungen befugter Ansprechpartner, weil diese Aufgabe eben dem Betriebsratsvorsitzenden zugewiesen ist.
Praxistipp
Das Problem sollte in der Praxis dadurch klein gehalten werden, dass der Wahlvorstand die konstituierende Sitzung unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses veranstaltet. Die Anhörung kann dann direkt im Anschluss erfolgen.
Checkliste zum Download
Die Anhörung des Betriebsrats vor einer Kündigung ist eine Ihrer wesentlichen Arbeitgeberpflichten. Überprüfen sie anhand unserer Checkliste Betriebsratsanhörung, ob Sie alles richtig gemacht haben.
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Welche Folgen hat es, wenn einem Angestellten ohne Einschaltung des Betriebsrats gekündigt wurde?