Inzest-Verbot unter Geschwistern verstößt nicht gegen Europäische Menschenrechtskonvention
Bruder wehrt sich gegen Urteil wegen Beischlafs unter Geschwistern
Es ist laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar, dass ein Mann, der mit seiner jüngeren Schwester eine sexuelle Beziehung eingegangen war und mit ihr vier Kinder bekommen hat, in Deutschland wegen Inzestes zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist. Im Ausgangsfall ging es um einen deutschen Staatsangehörigen, der mit seiner leiblichen Schwester mehrere Jahre zusammengelebt hatte und mit ihr zwischen 2001 und 2005 vier gemeinsame Kinder bekam. Nach mehreren Vorstrafen wegen seiner Inzestbeziehung verurteilte das Amtsgericht ihn im November 2005 wegen Beischlafs zwischen Verwandten in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Im Februar 2008 landete die Sache beim Bundesverfassungsgericht (BverfG). Dieses vertrat die Auffassung, dass die Strafbarkeit des Beischlafs zwischen leiblichen Geschwistern nach dem deutschen Strafgesetzbuch keinen Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung darstellt. Der Verurteilte zog vor den EGMR.
EGMR akzeptiert Strafbarkeit des Inzest in Deutschland
Dort scheiterte die Klage. Der EGMR schließt nicht aus, dass die Verurteilung eine Beeinträchtigung des Familienlebens des Klägers, das durch Artikel 8 EMRK geschützt sei, darstelle. Seine Verurteilung sei nach dem deutschen Strafgesetzbuch, das sexuelle Beziehungen zwischen leiblichen Geschwistern unter Strafe stellt und auf den Schutz der Moral und der Rechte anderer abzielt, gesetzlich vorgeschrieben. Die Verurteilung habe aber einen legitimen Zweck im Sinne von Art. 8 EMRK verfolgt. Die deutschen Behörden hätten bei der Entscheidung, wie mit Inzestbeziehungen zwischen erwachsenen Geschwistern umzugehen sei, einen weiten Beurteilungsspielraum. Zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats bestehe kein Konsens hinsichtlich der Frage, ob einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen erwachsenen Geschwistern eine Straftat darstellen. In einer Mehrheit der Staaten seien solche Beziehungen allerdings strafbar. Es bestehe ein breiter Konsens dahingehend, dass sexuelle Beziehungen zwischen Geschwistern weder in der Rechtsordnung noch in der Gesellschaft im Allgemeinen anerkannt sind. Schließlich berücksichtigte der Gerichtshof, dass der Fall eine Frage moralischer Maßstäbe betraf, in der Staaten nach seiner Rechtsprechung einen weiten Beurteilungsspielraum haben, wenn zwischen den Staaten kein Konsens besteht. Das BVerfG habe hier eine sorgfältige Abwägung der Argumente vorgenommen und sei zu der Auffassung gelangt, dass mehrere Strafzwecke zusammengenommen die Verurteilung des Beschwerdeführers rechtfertigten. Eine Verletzung von Artikel EMRK sei deshalb nicht einschlägig (EGMR, Urteil vom 12.04.2012; Az.: 43547/08).
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