Freiheitsstrafe für progressive Kundenwerbung ist rechtens
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat aktuell die Verhängung von Freiheitsstrafen durch das Leipziger Landgericht wegen Verstoßes gegen das Verbot progressiver Kundenwerbung bestätigt. Die neun Angeklagten hatten von 2002 bis 2006 Fortbildungsseminare zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung und Motivation, Zeitmanagement, Rhetorik und Verkauf zum Preis von 3.200 € vertrieben. Zugleich wurde auch die Vertriebsmitarbeit für die Firma beworben; es wurden Verdienstmöglichkeiten von mindestens 550 € brutto für jedes erfolgreich vermittelte Seminar in Aussicht gestellt. Die Werbemaßnahmen richteten sich in erster Linie an Personen, die nach Arbeit oder Verdienstmöglichkeiten an den Wochenenden suchten; sie wurden aufgrund einer Zeitungsannonce, die eine Fahrertätigkeit offerierte, zu einer Präsentationsveranstaltung geladen. Die Angeklagten, die in unterschiedlichen Funktionen in der Vertriebsorganisation zusammenarbeiteten, verlangten als Voraussetzung für eine Vertriebsmitarbeit die Buchung eines Seminars. Erst nach Bezahlung der Seminarkosten wurde den geworbenen Personen der Mitarbeitervertrag ausgehändigt. Insgesamt wurden auf diese Art im genannten Zeitraum mindestens 4.605 Personen umworben; es wurden 3.959 Seminare vertrieben. Das Landgericht hatte die Angeklagten der progressiven Kundenwerbung nach § 16 Abs. 2 UWG schuldig gesprochen und gegen sie – mit Ausnahme eines Angeklagten – auf Freiheitsstrafen erkannt. Die Vollstreckung wurde nur zum Teil zur Bewährung ausgesetzt.
Der BGH hat die Revisionen der Angeklagten durch Beschluss als unbegründet verworfen. Er sah die für typische Kettenverträge geworbenen Mitarbeiter als Verbraucher im Sinne des § 16 Abs. 2 UWG an. Abzustellen war auf den Zeitpunkt, in dem sie erstmals durch das Absatzkonzept des Veranstalters angesprochen wurden und auf sie durch die Werbemaßnahme eingewirkt werden sollte. In dieser Phase waren sie noch nicht zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit entschieden. Da der Tatbestand des § 16 Abs. 2 UWG als sogenanntes Unternehmensdelikt ausgestaltet ist, ist für die Vollendung des Delikts ausreichend, wenn mit der werbenden Tätigkeit begonnen wurde und dieses Verhalten unmittelbar in die Buchung eines Seminars einmünden sollte. Einen Verbotsirrtum hatte das Landgericht ebenfalls zu Recht ausgeschlossen. Zwar bestand eine unterschiedliche Entscheidungspraxis der Gerichte zu dem von den Angeklagten verfolgten System, diese hielten jedoch selbst eine Strafbarkeit für wahrscheinlich. Deshalb nahmen sie in die schriftlichen Verträge – wahrheitswidrig – die Klausel auf, dass zwischen der Mitarbeit im Vertrieb und der Buchung des Seminars kein Zusammenhang bestehe. Einige der Angeklagten hatten allerdings mit ihren Revisionen insoweit Erfolg, als der Bundesgerichtshof die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafen grundsätzlich zur Bewährung ausgesetzt hat (Beschluss vom 24.02.201; Az.: 5 StR 514/09).
- Kommentieren
- 3680 Aufrufe