Kündigung des Chefarztes einer katholischen Klinik wegen Wiederverheiratung ist ungerechtfertigt
Krankenhaus kündigt wegen Verstoß gegen katholischen Glaubens- und Sittenlehre
Die Wiederverheiratung des katholischen Chefarztes eines katholischen Krankenhauses rechtfertigt laut gestriger Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht in jedem Fall seine ordentliche Kündigung. Der Kläger war 2000 als Chefarzt in die Dienste der Beklagten getreten, die mehrere Krankenhäuser betreibt. Der Dienstvertrag wurde unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes (GO) geschlossen. Nach deren Art. 4 wird von den Mitarbeitern die Anerkennung und Beachtung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre erwartet. Nach Art. 5 Abs. 2 GO kommt eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen bei schwerwiegenden Loyalitätsverstößen in Betracht. Als ein solcher Verstoß wird auch der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe angesehen. Nachdem sich die erste Ehefrau des Klägers von diesem getrennt hatte, lebte der Kläger mit seiner jetzigen Frau von 2006 bis 2008 unverheiratet zusammen. Das war der Beklagten nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bekannt. Nach seiner Scheidung von der ersten Ehefrau heiratete der Kläger im Jahr 2008 seine jetzige Frau standesamtlich. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. März 2009 ordentlich zum 30. September 2009. Die Beklagte beschäftigt auch nicht katholische, wiederverheiratete Chefärzte. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage des Chefarztes stattgegeben.
Entscheidend ist der Loyalitätsverstoß im Einzelfall
Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 KSchG. Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen haben zwar das verfassungsmäßige Recht, von ihren Beschäftigten ein loyales Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können. Als Loyalitätsverstoß komme auch der Abschluss einer nach katholischem Verständnis ungültigen Ehe in Betracht. Eine Kündigung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Loyalitätsverstoß auch bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile im Einzelfall ein hinreichend schweres Gewicht hat. Dabei überwiege hier jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Beachtet werden müsse, dass die Beklagte selbst sowohl in ihrer Grundordnung als auch in ihrer Praxis auf ein durchgehend und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter verzichte. Das zeige sich sowohl an der Beschäftigung nichtkatholischer, wiederverheirateter Ärzte als auch an der Hinnahme des nach dem Arbeitsvertrag an sich untersagten Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft von 2006 bis 2008. Zu berücksichtigen war ferner, dass der Kläger zu den Grundsätzen der katholischen Glaubens- und Sittenlehre nach wie vor steht und an ihren Anforderungen nur aus einem dem innersten Bezirk seines Privatlebens zuzurechnenden Umstand scheiterte. Bei dieser Lage war auch der ebenfalls grundrechtlich geschützte Wunsch des Klägers und seiner jetzigen Ehefrau zu achten, in einer nach den Maßstäben des bürgerlichen Rechts geordneten Ehe zusammenleben zu dürfen (BAG, Urteil vom 08.09.2011; Az.: 2 AZR 543/10).
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