Stromdiebstahl von 1,8 Cent – Arbeitgeber unterliegt bei Kündigung und Auflösungsantrag
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat gestern über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen Stromdiebstahls (so genannte Bagatellkündigung) entschieden. Der klagende Netzwerkadministrator war seit fast 20 Jahren bei einem Rechenzentrum beschäftigt. Im Mai 2009 hatte er sich privat für einige Tage einen Elektroroller gemietet, den er auch am Freitag, den 15.05.2009 zur Fahrt in den Betrieb nutzte. Dort schloss er den Roller im Vorraum zum Rechenzentrum an eine Steckdose an, um den Akku aufzuladen. Nachdem der Roller ca. 1 ½ Std. aufgeladen worden war, nahm der Beschäftigte den Akku vom Stromnetz, nachdem er von einem Vorgesetzten dazu aufgefordert worden war. Dabei sind Stromkosten im Umfang von etwa 1,8 Cent entstanden. Mit Schreiben vom 27.05.2009 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos sowie hilfsweise ordentlich fristgerecht zum 30.11.2009. Er berief sich darauf, dass der Beschäftigte ein Vermögensdelikt zu ihrem Nachteil begangen habe, weil er heimlich auf ihre Kosten seinen privaten Elektroroller am Stromnetz aufgeladen habe. Der Administrator klagte vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung und gewann das Verfahren.
Auch die Berufung des Arbeitgebers blieb erfolglos. Da keine absoluten Kündigungsgründe ersichtlich waren, nahmen die Richter im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Interessenabwägung vor. Diese ging zu Gunsten des Arbeitnehmers aus. Berücksichtigt wurde nämlich der geringe Schaden von 1,8 Cent, die 19–jährige Beschäftigung des Klägers und nicht zuletzt der Umstand, dass im Betrieb Handys aufgeladen und elektronische Bilderrahmen betrieben wurden, wogegen der Arbeitgeber aber nicht eingegriffen hätte. Daher hätte das verlorengegangene Vertrauen durch eine Abmahnung wieder hergestellt werden können. Auch der vom Arbeitgeber gestellte Auflösungsantrag blieb ohne Erfolg. Der Antrag wurde im Wesentlichen damit begründet, der Kläger habe zwischen den Instanzen durch sein Verhalten gegenüber den Medien eine Situation herbeigeführt, die es Ihr unzumutbar mache, ihn weiter zu beschäftigen. Als über seinen Fall im Fernsehen berichtet werden sollte, hatte er Handzettel im Betrieb verteilt, die auf die Sendung hinwiesen. Durch seinen reißerischen Auftritt in den öffentlichen Medien habe er dem Ansehen des Unternehmens massiv geschadet. Außerdem habe der Kläger in einer Email an den Geschäftsführer Anschuldigungen gegenüber seinem unmittelbaren Vorgesetzten erhoben, die die Arbeitgeberin selbst als emotionalen Rundumschlag ansieht. Nach der Auffassung des Gerichts begründet dies nicht, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwartet werden kann. Der Kläger sei nicht von sich aus an die Medien herangetreten. Sein Verhalten sei durch die emotionale Ausnahmesituation während des Prozesses erklärbar (LAG Hamm, Urteil vom 02.09.2010; Az.: 16 Sa 260/10).
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