Alle fordern den Wandel: Doch er überfordert Manager und Mitarbeiter
Wie heftig die Digitale Transformation Manager und Mitarbeiter überfordert, demonstriert unfreiwillig zurzeit die Medienbranche. Zweifeln und Bedürfnissen der Betroffenen wird oft nicht angemessen begegnet. Dieses Versäumnis provoziert Reaktanzverhalten, was wiederum den Wandel ausbremst. Das ist ärgerlich, aber vermeidbar.
„Der digitale Wandel?“, fragt mein Coachee, 42 und leitender Redakteur. „Ein schöner Euphemismus für die aktuelle Entlassungswelle.“ Er kommt ins Coaching, weil ihn die vor fünf Jahren noch unvorstellbare Härte des Wandels an die Grenze seiner Belastungsfähigkeit gebracht hat.
Die vernachlässigten Folgen des Wandels
Es gibt Gewinner des Wandels. Unter anderem begrüßen manche Inhaber von PR-, Content- und Medienagenturen das krisenbedingt forcierte Outsourcing der klassischen Sender, Verlage und Medienunternehmen, das ihnen Aufträge in die Kasse spült. Es gibt daneben auch einige Medienunternehmen, die den Wandel beziehungsfreundlich, bedürfnisorientiert und mit den Mitteln der modernen Organisations- und Personalentwicklung gestalten. Von ihnen soll fallweise unter „Best Practice“ die Rede sein.
Hauptsächlich wollen wir im Folgenden jedoch nicht die Klassenbesten und die Krisengewinner diskutieren, sondern die Betroffenen des Wandels, wie sie sich in ihrer Betroffenheit in meiner Coaching-Praxis und in informellen Netzwerken präsentieren. Die nachfolgend aufgeführten Zustandsschilderungen sagen nichts über die Häufigkeit ihres Auftretens. Häufigkeiten interessieren beim Coaching nicht, vielmehr die Behebung von Missständen. Warum sollten sie überhaupt behoben werden?
Muss man Mitarbeiter trösten?
Das ist keine zynische, sondern eine im Coaching oft gestellte Frage. Denn ich betreue auch die „Gegenseite“ (vor dem Coach sind alle gleich). Viele Führungskräfte äußern durchaus ernsthaft: „Mir macht die Trimedialität doch auch Stress! Deshalb verlange ich aber nicht von meinem Vorgesetzten, dass er mich in den Arm nimmt!“ Das klingt einleuchtend, hat jedoch wirtschaftliche Konsequenzen: Wer seine Mitarbeitenden nicht „in den Arm nimmt“, mithin die persönliche, genauer: die affektive Seite des Wandels bewusst oder einer inneren Not (Dissoziation) folgend ausklammert, provoziert damit – unabsichtlich und meist unreflektiert – das derzeit zu beobachtende Reaktanzverhalten (bis hin zu Gerichtsverfahren, zum Beispiel auf rückwirkende Festanstellung). Diese Reaktanz beschädigt wiederum Produktivität, Commitment, Leistungsbereitschaft und Qualität der „normalen“ Arbeit und bremst Akzeptanz, Umfang und Tempo des Wandels. In vielen Medienunternehmen ist das Widerstandsverhalten so intensiv, dass der Wandel aktiv hintertrieben oder passiv ausgesessen wird. Auch „Abstimmung per pedes“ wird betrieben: Viele der besten Mitarbeiter sind bereits gegangen. Das ist lediglich ein kurzer Abriss der wirtschaftlichen Folgen eines affektindolent gemanagten Wandels. Die persönlichen Konsequenzen werden oft als belastender empfunden.
Wandel macht Chefs unsympathisch
„Meine Mitarbeiter halten mich für einen Sklaventreiber!“, klagt ein Medienmanager stellvertretend für viele. „Aber ich kann doch nichts dafür! Ich krieg doch auch Druck von oben. Ich bin doch auch nur ein Mensch!“ Warum tritt er dann nicht als dieser Mensch auf – gegenüber anderen Menschen im Wandel? Diese Frage wird weniger im betrieblichen als im Coaching-Kontext gestellt. Seit vielen Jahren coache ich Führungskräfte und Mitarbeitende aus allen Arten von Medienunternehmen und Hierarchieebenen. In dieser langen Zeit gab es immer wieder Branchenkonjunkturen der menschlichen Belastung. In den letzten Monaten jedoch verstärkt sich mir der Eindruck, dass Umfang und Intensität der Belastung eine „normale“ Krise übersteigen. Um den Eindruck zu fundieren, startete ich eine Sondierung unter Medienbeschäftigten in meinem Netzwerk. Ihre Eindrücke bestätigen die Coaching-Themen. Beides erscheint im Folgenden aus verständlichen Gründen anonymisiert. Weder Coachees noch Zitatgeber sollen auch nur identifizierbar erscheinen. Worüber sich jedoch ausnahmslos alle einig waren: „Bitte reden, schreiben Sie darüber! Sonst tut es ja keiner!“ Ich fühle mich dieser Bitte verpflichtet. Nach der Vorstellung von drei typischen Coachingfällen möchte ich im ersten Teil dieses Artikel-Zweiteilers den gravierendsten Brandherd des Wandels diskutieren und im zweiten Teil zwei weitere Minenfelder des Change Managements.
Coachee A: Festangestellter, leitender Redakteur, Mitte 50
Er konsultiert die Coachin, obwohl prima facie eine Kontraindikation vorliegt: „Ich bin unkündbar und fühle mich auch nicht vom Wandel übermäßig gestresst.“ Jedoch: „Alle nennen mich nur noch den ‚Totengräber‘, weil ich massiv Mitarbeiter abbauen muss. Und jeden Tag muss ich zig Freien sagen: Tut mir leid, nichts mehr da.“ Gleichzeitig fühlt er sich als Erfüllungsgehilfe einer harten Linie: „Wer gegen Unfairness und Härte protestiert, kommt per Anordnung von ganz oben ins Sterbezimmer – und ich muss die Exekution vollstrecken.“ Das heißt: Er oder sie wird zur Persona Non Grata ernannt und bekommt so lange keine Arbeit, bis er und sie freiwillig kündigt: „Das heiße ich nicht gut, aber ich muss die offizielle Linie vertreten.“ Wegen dieser kognitiven Dissonanz verhält er sich zunehmend gereizt auch im Privatleben, was den Familienfrieden bedroht. Außerdem sei er jetzt „alt genug, um mich zu fragen, ob ich so etwas als mein Lebenswerk vorweisen möchte. Einerseits fühle ich mich immer noch meinem Sender verpflichtet, andererseits mache ich mich ungern zur Erfüllungsgehilfin solcher Methoden.“ Kann ihm im Coaching geholfen werden?
Wandel mit Coaching
Im Coaching arbeitet der Redakteur unter anderem heraus, dass seine Einerseits/Andererseits-Perspektive das eigentliche Problem dichotomisiert und damit eskaliert. „Sowohl als auch“ dagegen integriert; nämlich die Arbeitgebersicht und die Sicht der Betroffenen. Seither sagt er nicht mehr „Wenn das so beschlossen wurde, dann müssen wir das auch so durchziehen“ (Einerseits-Sicht) oder „Ich weiß auch nicht, was der Sender sich dabei denkt!" (Andererseits-Sicht), sondern öfter: „Die Geschäftsleitung hat das so beschlossen und das hat ganz sicher gute Gründe. Gleichzeitig wollen wir versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.“ Das klingt wie ein fauler Kompromiss? Nicht für seine Mitarbeiter: „Die kommen seither besser mit der Krise und mit mir klar – und ich bin auch wieder für meine Familie genießbar.“ Der Coachee hat nur noch eine Frage: „Das ist eine einfache, verbale Lösung. Warum konnte sie mir nicht unsere Geschäftsführung, unser oberster Change Agent oder ein Trainer der Personalabteilung verraten?“ Gute Frage. Weil jene, die den Wandel vorantreiben, oft selbst so sehr unter ihm leiden, dass sie das Leiden lediglich nach unten weitergeben.
Coachee B: Feste Freie, Anfang 40
Sie sagt: „Mein Sender hat die festen Freien abgeschafft – ich bin quasi eine der letzten Mohikanerinnen.“ Damit wäre auch sie auf der „sicheren Seite“. Was macht sie dann im Coaching? Das ist durchaus typisch: Jene Betroffenen, die bereits in Frust und Aussichtslosigkeit versunken sind, gehen selten zum Coach. Deshalb erreicht externes Coaching ausgerechnet jene nicht, die es am nötigsten hätten. Coachee B treibt etwas anderes um: „Die Hälfte der Kolleginnen ist entweder buchstäblich über Nacht verschwunden, verdient weniger oder ist aus anderen Gründen in Depression versunken. Das Klima ist schlicht nicht mehr zum Aushalten. Und die Qualität ist unter aller Kanone. Wofür ich früher zehn Drehtage bekam, dafür kriege ich heute noch fünf. Das ist absurd.“ Sie nimmt das Coaching in Anspruch, um ihre Karriere neu zu sortieren: „Anderer Sender? Mehr freie Arbeit? Beides? Richtig selbstständig machen mit eigener Produktionsfirma?“ Zum Abschluss der dritten Sitzung fragt sie: „Ist es fürs Change Management eigentlich typisch, dass der Wandel derart blutig ablaufen muss?“
Coachee C: Redakteur, Mitte 20
Der Coachee ist nach seinem Studium Berufsanfänger in einer großen Redaktion. Er erzählt: „Wir haben praktisch zwei Redaktionen: Die älteren Kollegen sagen, die Verlagsleitung hätte ‚Online First!‘ beschlossen und wir hätten gegen das Internet sowieso kein Chance. Sie spekulieren auf Frühverrentung. Die Jungen wollen unbedingt zeigen, dass Print das Qualitätsmedium ist – ich weiß nur nicht, ob die Verlagsleitung das auch weiß.“ Er sitzt im Coaching, weil er sich fragt, ob er die richtige Berufswahl getroffen hat. Ironischerweise hat sein Verlag einen Coaching-Pool budgetiert, mit dem der Digitale Wandel („Ich kann den Begriff nicht mehr hören!“) unterstützt werden soll: Das ist Best Practice. Ironisch ist es deshalb, weil sein Arbeitgeber ihm praktisch das Coaching bezahlt, in dem er sich nun überlegt, den Arbeitgeber zu wechseln. Auch seine Frage geht in die Richtung: „Wenn die Führung selber nicht mehr an ihre Zeitung glaubt – warum kommunizieren die das dann nicht klipp und klar und hören auf, Uni-Absolventen wie mich anzuwerben?“
Wandel als Coaching-GAU
Diese drei Coachingsituationen sind - natürlich - verkürzt dargestellt. Weil ihre Gemeinsamkeiten zu viel Raum eingenommen hätten: Rund 80 Prozent aller Coachees teilen 80 Prozent der Coaching Complaints, ihrer Beschwerden. Lassen Sie uns im Folgenden exemplarisch auf drei in meiner Praxis häufig auftauchende Beschwerden fokussieren (die erste Beschwerde in Teil 1 des Beitrags, die beiden anderen im folgenden Teil 2). Wir beginnen dabei jeweils mit einigen typischen Äußerungen von Coachees und Zitatgebern, betrachten ein willkürlich herausgepicktes Beispiel in synoptischer Darstellung von Normal und Best Practice und führen diese Dichotomie in einer abschließenden Differenzierung entlang der betrieblichen Akteure des Wandels fort.
1. Problem: Überforderung durch den Wandel
„Der Wandel überfordert uns!“, „Ich komme da nicht mehr mit!“, „Wir haben nur noch Stress, Stress, Stress – und der Job war vorher schon stressig genug!“
Ein Betroffener meint: „Wir haben umstrukturiert. Seither betreue ich zwei Ressorts. Ich kriege jeden Tag rund 400 Mails. 50 kann ich seriöserweise bearbeiten. Mein Chef macht mir Druck, weil ich nicht alle 400 schaffe. Geht’s noch?“ Im selben Verlagshaus sagt der Vorgesetzte eines ähnlich betroffenen Managers: „Ich weiß, niemand kann 200 Mails am Tag beantworten. Ich vertraue darauf, dass Sie Ihre Prioritäten richtig setzen! Und immer dran denken: Wir haben auch Trainings für Selbstorganisation. Nur keine falsche Scheu!“
Überforderung durch Workload, Wandel, Verdichtung, Trimedialität … | ||
Akteur des Wandels |
Bad Practice |
Best Practice |
Vorgesetzter |
„Was muss, das muss!“ (Fordern) |
Fordern & Fördern |
Geschäftsleitung |
Wandel ohne Projektmanagement (PM) |
Wandel mit PM-Kompetenz, planvoll und kapazitätsorientiert |
OE, PE, P oder Schulungsabt. |
Kein Budget, keine thematische Sensibilisierung, kaum interne Kundenorientierung |
Trainings in Self Management, Schwerpunkte Prioritätensetzung, Stressresilienz |
Betroffener |
„Eine Wahl habe ich ja nicht!“ |
„Für meine Resilienz und Arbeitsplanung bin ich selber zuständig.“ |
Die Lösungsansätze der Best Practice sind hier nur kurz dargestellt. Was einerseits unterredundant ist, andererseits richtungsweisend: Change-Kompetenz ist nichts für Anfänger. Wer Vorhaben wie die Digitale Transformation anpackt, ohne Ahnung in Projektmanagement, Selfmanagement oder Resilienz mitzubringen, provoziert den Misserfolg geradezu. Überforderung ist im Wandel kein Störfaktor, sondern zwangsläufig. Überforderung jedoch kann man managen. Wird sie nicht gemanagt, kann sie immer noch gecoacht werden. Wird auch das versäumt, tritt das Desaster ein, das derzeit viele Unternehmen, nicht nur in der Medienbranche, mit dem Digitalen Wandel erleben. Für das Unternehmen ruinös, für die Beteiligten eine Tortur. Und im Grunde ziemlich unnötig.
Wie man Ängste und Maulkörbe managt, verrät Ihnen Dr. Cornelia Topf im 2. Teil dieses Beitrags.
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