Projektverantwortung: Wer hat sie und wie verteilt man sie, sodass sie auch gelebt wird?
Frage trifft Antwort im Projektmanagement
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Im Anschluss an meinen Projektmanagement-Vortrag an der Mediahochschule für Gamedesign in Düsseldorf gab es eine ausführliche Fragerunde. Die meisten Fragen kreisten dabei um das Thema „Verantwortung“. Die angehenden Gamedesigner und Softwareentwickler wollten vor allem Antworten auf folgende Fragen haben:
Wer trägt eigentlich im klassischen Projektmanagement die gesamte Projektverantwortung? Der Projektleiter, der Projektauftraggeber oder jeder einzelne Projektmitarbeiter?
Und wie sorgt man dafür, dass sich die Betroffenen über ihre Verantwortung auch bewusst sind und sie mit Leben füllen?
Projektmanagement-Expertin Bianca Fuhrmann:
Da mir diese Fragen immer wieder begegnen und der falsche Umgang mit der Verantwortung zu handfesten Krisen führen kann, möchte ich diese für alle Interessierten beantworten.
Ich gebe zu, es ist eine echt schwierige Frage. Denn die Antwort ist oft emotional behaftet. Aber die Frage ist auch gleichzeitig denkbar einfach zu beantworten, da nur eine logische Sichtweise hilft.
Der Projektauftraggeber ist derjenige, der das Projekt initiiert und gegenüber dem Unternehmen verantwortet. Da er selber das Projekt in der Regel nicht umsetzt, wird ein Projektleiter eingesetzt, der die komplette Umsetzung übernimmt und gegenüber dem Projektauftraggeber verantwortet. Im klassischen Projektmanagement lebt man eine Verantwortungshierarchie, die wie folgt aussieht:
Verantwortungshierarchie im klassischen Projektmanagement:
- Der Projektauftraggeber (manche nennen ihn auch Projekteigner) verantwortet das Gesamtprojekt gegenüber dem Unternehmen und ebenso die Rahmenbedingungen, damit der Projektleiter mit seinem Projektteam arbeiten kann.
- Der Projektleiter verantwortet die Projektumsetzung innerhalb der definierten Ziele und Nichtziele gegenüber dem Projektauftraggeber.
- Die Teilprojektleiter, falls es diese in Ihrem Projekt gibt, verantworten ihre Teilprojekte gegenüber dem Projektleiter.
- Jeder einzelne Projektmitarbeiter verantwortet die ihm übertragenen Arbeitspakete gegenüber dem Teilprojektleiter und, falls es keinen gibt, dann gegenüber dem Projektleiter.
Bitte beachten Sie, dass man im agilen Projektmanagement die starren Verantwortungsstrukturen aufgebrochen hat und sich diese zum klassischen Projektmanagement deutlich unterscheiden.
Wie Sie sehen, ist die Verantwortungshierarchie wirklich einfach, zumindest so die Theorie.
In der Realität gibt es viele Gründe, warum Verantwortung nicht getragen wird, und dabei ist es egal, auf welcher Hierarchiestufe man steht. Vielleicht ist Ihnen ja schon mal der ein oder andere Grund begegnet.
Gründe, die gegen die Verantwortungsübernahme sprechen
- Die Verantwortungshierarchie ist nicht bekannt.
- Die Verantwortung wurde nicht offiziell übergeben.
- Es gibt keine Vertreterregelung und somit sind die Verantwortlichkeiten bei Abwesenheit dieser Person, wie beispielsweise bei Krankheit oder Urlaub, unklar.
- Die einzelnen Verantwortlichen haben nie ihre Zustimmung zur Verantwortung abgegeben – oder auf Neu-Deutsch ihr Commitment.
- Die Hol- und Bringschuld wurde nie oder nicht eindeutig definiert. Diese definiert, wer was dem anderen „bringen“ und was man sich selber „holen“ muss.
Wenn Ihnen einer dieser Gründe bei Ihren Kollegen auffällt, sollten Sie zeitnah und absolut transparent die Gründe für die Verantwortungsübernahme kommunizieren.
Soweit die einfache Seite, es gibt ja auch noch die Variante mit den Ausreden.
Ausreden, die beispielsweise gegen die Verantwortungsübernahme sprechen
- Faktor Bezahlung:
„Ich bekomme zu wenig Geld, als dass ich die Verantwortung übernehmen würde.“ - Faktor Angst:
„Was passiert eigentlich, wenn das Projekt den Bach runtergeht? Wird dann der Sündenbock bei den Mitarbeitern gesucht? Die suchen doch nur einen Schuldigen, wenn es schief geht!“ - Faktor Einflussnahme:
„Ich habe nicht genügend Einfluss, als dass ich die Verantwortung übernehmen kann. Also was nützt mir dann die offizielle Übernahme der Verantwortung? Nichts!“ - Faktor fehlendes Projekt-Commitment:
„Ich arbeite hier nur mit, das Vorgehen und die Umsetzung gefallen mir nicht. Denn ich würde das Thema ganz anders umsetzen oder sogar gleich beerdigen.“ - …
Jetzt wird es spannend. Alle diese Faktoren entspringen eher der dunklen Seite unserer Psyche, und wenn wir mal ehrlich sind, begegnen sie einem fast täglich. Um dem entgegenzuwirken, muss der Projektleiter schon etwas tiefer in seinen Führungsmethodenkoffer greifen. Lösen wir einfach die verschiedenen Faktoren mal auf und suchen nach möglichen Interpretationen:
- Der Faktor Bezahlung kann für die gefühlte Wertschätzung gegenüber dem Mitarbeiter stehen. Oder für den Glauben, dass der Projektleiter und die Führungsebene viel, viel mehr verdient als der Mitarbeiter. Ist das so?
- Der Faktor Angst stellt die Ängste dar, später für Unverschuldetes oder für Dinge, die nicht im eigenen Einflussbereich liegen, seinen Hut nehmen zu müssen.
- Der Faktor Einflussnahme deutet auf fehlende Rechte und Pflichten hin.
- Der Faktor fehlendes Projekt-Commitment zeigt, dass der Projektleiter es mit diesem Mitarbeiter sehr schwer haben wird. Er sollte darauf vorbereitet sein, dass es zum offenen Projekt-Boykott oder zur Führungsmeuterei kommen kann.
Und wie sorgt man nun dafür, dass jeder seine Verantwortung übernimmt?
Fünf Tipps, wie Sie dafür sorgen, dass in Ihrem Team Verantwortung übernommen wird
Stellen Sie allen Mitarbeitern gegenüber folgende Dinge offen dar:
- Stellen Sie klar, was Sie ganz persönlich unter Verantwortung verstehen.
- Stellen Sie von der Mitarbeiter- und Lieferantenebene bis zur Top-Führungsebene die Verantwortungshierarchie dar.
- Übergeben Sie jedem einzelnen Mitarbeiter offiziell seine Verantwortung sowie seine Projektrolle und zwar so, dass alle anderen Mitarbeiter dies auch mitbekommen. Hierzu bieten sich besonders der Kick-off-Workshop oder ein Statusmeeting an. Und holen Sie sich bei der Übergabe auch das OK des Mitarbeiters ab.
- Definieren Sie für jede Projektrolle die Hol- und Bringschuld.
- Definieren Sie eine Vertreterregel. Hierbei müssen Sie auch die Rechte, die Pflichten und das Inkrafttreten der Vertreterrollen darstellen. Wichtig ist hierbei auch, den Zeitpunkt zu benennen, ab wann der Vertreter tätig werden soll.
Mein Tipp zum Schluss:
Gehen Sie in die Diskussion, wenn Ihre Mitarbeiter eine andere Sichtweise auf die Verantwortungsübernahme und deren Rolle, Rechte, Pflichten, Vertreterregelung haben. Je früher Sie über Unstimmigkeiten sprechen, desto besser.
Probieren Sie es aus und geben Sie Ihrem Team einen Vertrauensvorschuss! Dass es am Anfang etwas hakt, ist ganz normal, denn für viele Mitarbeiter ist es ungewöhnlich, Verantwortung zu übernehmen, ebenso wie für den Projektleiter diese abzugeben.
Es würde mich freuen, wenn Sie uns Ihre Erfahrung per Kommentar mitteilen.
Ihre Bianca Fuhrmann
Das Buch zum Thema:
Projekt-Voodoo®: Wie Sie die Tücken des Projektalltags meistern und selbst verfahrene Projekte in Erfolge verwandeln. Es ist der Krisen- und Konfliktmanagement-Ratgeber für Projektleiter und Führungskräfte.
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