Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz rechtfertigt fristlose Kündigung
BAG: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist wichtiger Grund für fristlose Kündigung
Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist eine sexuelle Belästigung an sich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Mit diesem Urteil haben die Erfurter Richter ihre bisherige Rechtsprechung bestätigt (Az.: 2 AZR 323/10).
Der Fall aus der Praxis
Ein 58-jähriger Arbeitnehmer war seit 30 Jahren in einem Möbelhaus als Einkäufer und Produktmanager beschäftigt. Im Oktober 2007 hatte er einer Kollegin einen Klatsch auf den Po gegeben und war daraufhin vom Arbeitgeber wegen sexueller Belästigung abgemahnt worden. Ein halbes Jahr später bedrängte der Mitarbeiter eine 26-jährige Einkaufsassistentin zwei Tage lang mit zahlreichen anzüglichen Bemerkungen. So wollte er von ihr wissen, warum sie keinen Minirock anhabe und damit auf die Leiter steige. Beim Essen fragte er sie, ob sie schon einmal beim Essen Sex gehabt hätte, forderte sie auf, für ihn ihre körperlichen Reize zur Schau zu stellen und machte ihr schließlich ein eindeutiges Angebot. Die Arbeitnehmerin fühlte sich massiv bedrängt und meldete die Vorfälle dem Arbeitgeber, woraufhin dieser das Arbeitsverhältnis mit dem Einkäufer fristlos kündigte. Dieser erhob umgehend Kündigungsschutzklage. Er meinte, er habe die Kollegin lediglich "geneckt".
Das Arbeitsgericht (ArbG) Paderborn hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm gab der Berufung des Klägers statt. Der beklagte Arbeitgeber ging in Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG).
Das sagt das Gericht
Mit Erfolg. Das BAG hob das Urteil des LAG Hamm auf wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des ArbG Paderborn zurück. Die Kündigung sei wirksam, so die Bundesrichter. Die unerwünschte sexuelle Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) stelle nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie sei an sich ein wichtiger Grund, der zur außerordentlichen Kündigung berechtige. Im Einzelfall komme es jedoch auf die Intensität und den Umfang der Belästigung an.
Mit den wiederholten Bemerkungen sexuellen Inhalts habe der Kläger im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG die Würde der Mitarbeiterin verletzt. Er habe diese an zwei aufeinander folgenden Arbeitstagen gleich mehrfach mit anzüglichen Bemerkungen verbal sexuell belästigt und damit zum Sexualobjekt erniedrigt. Dadurch sei für die betroffene Mitarbeiterin zudem ein Arbeitsumfeld entstanden, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten seitens des Klägers habe rechnen müssen. Unmaßgeblich sei dabei, wie der Kläger selbst sein Verhalten eingeschätzt und empfunden habe oder verstanden wissen wollte. Unerwünscht bedeute nicht, dass die Betroffene ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlichen müsse. Maßgeblich sei allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar gewesen sei.
Einer neuerlichen Abmahnung habe es hier nicht bedurft, schließlich habe der Arbeitgeber den Mitarbeiter wegen einer gleichartigen Pflichtverletzung bereits einmal abgemahnt. Der Arbeitgeber habe deshalb davon ausgehen dürfen, dass es auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen werde (BAG, Urteil vom 09.06.2011, Az.: 2 AZR 323/10).
Sexuelle Belästigung gilt in der Regel als wichtiger Grund für fristlose Kündigung
Eine sexuelle Belästigung stellt eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar und kann „an sich“ als wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Die Rechtfertigung hängt dabei stets von den konkreten Umständen des Einzelfalles sowie dem Umfang und der Intensität der Belästigung ab.
AGG löst Beschäftigtenschutzgesetz ab
Mit dem Inkrafttreten des AGG im August 2006 wurde das Beschäftigtenschutzgesetz, in dem die sexuelle Belästigung bis dahin geregelt war, aufgehoben. Die sexuelle Belästigung ist nunmehr ausdrücklich in § 3 Abs. 4 AGG geregelt:
§ 3 Begriffsbestimmungen
…
(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
Als unerwünscht sexuell bestimmtes Verhalten im Sinne des AGG gelten auch
- Äußerungen,
- Gesten,
- Blicke und
- körperliche Berührungen.
Wichtiger Hinweis
Beachten Sie, dass eine sexuelle Belästigung kein vorsätzliches Handeln voraussetzt. Die Unerwünschtheit der Verhaltensweise muss also nicht bereits vorher ausdrücklich gegenüber dem Belästigenden zum Ausdruck gebracht worden sein, sondern es reicht aus, dass der Belästigende aus der Sicht eines objektiven Beobachters davon ausgehen kann, dass sein Verhalten unter den gegebenen Umständen von der/dem Betroffenen nicht erwünscht ist oder auch nicht akzeptiert wird.
In diesen Fällen liegt eine sexuelle Belästigung vor
Den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllen
- sexuelle Handlungen,
- Aufforderungen zu derartigen sexuellen Handlungen,
- sexuell bestimmte körperliche Berührungen,
- Bemerkungen sexuellen Inhalts und
- das Zeigen und Anbringen von pornografischen Darstellungen, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden.
Diese Rechte haben betroffene ArbeitnehmerInnen nach dem AGG
Im Falle einer sexuelle Belästigung stehen den Betroffenen die Rechte aus den§§ 13 ff. AGG zu:
- Betroffene können sich bei den zuständigen Stellen des Betriebes beschweren i. S. d. § 13 AGG.
- Betroffene haben nach § 14 AGG ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung der Belästigung ergreift (Betroffene können ihre Tätigkeit ohne Verlust der Vergütung einstellen, soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist).
- Betroffene können von ihrem Arbeitgeber eine Entschädigung verlangen nach § 15 AGG. Der Anspruch muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden.
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