Falschangabe bei Massenentlassungsanzeige hat Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge
Kündigung unwirksam – Arbeitgeber schummelt bei Massenentlassungsanzeige
Falschangaben des Arbeitgebers bei der Massenentlassungsanzeige haben nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Mainz die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Ein Betriebsratsvorsitzender hatte erfolgreich gegen seine Kündigung wegen Betriebsstilllegung geklagt (Az.: 7 Sa 672/10).
Der Fall aus der Praxis
In einem Betrieb waren 22 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Arbeitgeber beschloss, den Betrieb stillzulegen und erstattete gegenüber der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine sogenannte Massenentlassungsanzeige i. S. d. § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Er gab dabei lediglich 20 Beschäftigte an. Im März 2010 teilte die Bundesagentur mit, dass der Betrieb nur 20 Arbeitnehmer beschäftige. Kündigungen seien deshalb auch ohne Entlassungsanzeige nach § 17 KSchG wirksam. Mit Schreiben vom 17.03.2010 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis des Betriebsratsvorsitzenden ordentlich zum 30.06.2010. Der Arbeitnehmervertreter war der Meinung, dass die Kündigung unwirksam sei und erhob Kündigungsschutzklage.
Das sagt das Gericht
Die Klage hatte Erfolg. Das Gericht gab dem Betriebsratsvorsitzenden recht und erklärte die Kündigung für unwirksam. Grund für die Unwirksamkeit sei, dass der Arbeitgeber vor dem Ausspruch der Kündigung keine wirksame Massenentlassungsanzeige erstattet habe. Zu den Mindestangaben der Massenentlassungsanzeige gehöre auch die Angabe der Zahl, der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Diese Angabe sei erforderlich, um der zuständigen Bundesagentur im Zusammenhang mit den weiteren Mindestangaben die Prüfung zu ermöglichen, ob es sich überhaupt um eine anzeigepflichtige Massenentlassung handele. Die falsche Angabe der Zahl der Beschäftigten führe zur Unwirksamkeit der Anzeige, wenn die Agentur für Arbeit dadurch bei ihrer sachlichen Prüfung beeinflusst wurde. Im Streitfall sei dieser Fall eingetreten, weil die Bundesagentur daraufhin die weitere Anzeigepflicht der Entlassungen verneint hatte. Unter Entlassung i. S. d. § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Ausspruch der Kündigung zu verstehen. Es entspreche daher dieser Rechtsprechung, dass eine Kündigung dann unwirksam sei, wenn sie der Arbeitgeber vor einer nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderlichen, den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Anzeige ausgesprochen habe. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Betriebsratsvorsitzenden bestehe nicht. Dieser sei dem Arbeitgeber wegen der tatsächlich vorgenommenen Betriebsstilllegung unmöglich (LAG Mainz, Urteil vom 26.08.2011, Az.: 7 Sa 672/10).
Praxis-Tipp
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Az.: C-188/03) darf der Arbeitgeber die Kündigung erst nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige i. S. d. § 17 Abs. 1 KSchG aussprechen.
In diesen Fällen ist eine Massenentlassungsanzeige angezeigt
Nach § 17 Abs. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Bundesagentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten, bevor er
- in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,
- in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 Prozent der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,
- in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer
innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt.
Diese Informationen muss eine Massenentlassungsanzeige enthalten
Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte erteilen. Er ist verpflichtet, den Betriebsrat schriftlich über die folgenden Gesichtspunkte zu unterrichten:
- die Gründe für die geplanten Entlassungen,
- die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,
- die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
- den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,
- die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,
- die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.
Wichtiger Hinweis
Die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG verdrängt nicht das Anhörungsrecht des Betriebsrats nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Der Betriebsrat hat im Falle einer geplanten Massenentlassung Informations- und Beratungsrechte nach § 111 BetrVG (Betriebsänderung) und das Recht, über einen Interessenausgleich zu verhandeln und einen Sozialplan aufzustellen, § 112 BetrVG.
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