Amokfahrt als Arbeitsunfall – Opfer erstreitet Unfallrente
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat entschieden, dass die lebensgefährliche Verletzung einer Blumenhändlerin durch die Amokfahrt ihres Ex-Mannes in ihren Blumenstand als Arbeitsunfall anzusehen ist.
Der Fall aus der Praxis
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Blumenstandes. Im November 2009 verkaufte sie vor dem Klinikum Neukölln Blumen, als ihr ehemaliger Ehemann mit einem gemieteten Kleintransporter in ihren Stand raste. Die Blumenhändlerin wurde lebensgefährlich verletzt und konnte ihre berufliche Tätigkeit erst Anfang Februar 2011 wieder aufnehmen. Die zuständige Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Es habe sich um einen rein privaten Konflikt gehandelt. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit der Frau und dem Vorfall habe nicht bestanden. Die Blumenhändlerin war anderer Auffassung und zog vor das Sozialgericht. Sie beantragte die Anerkennung des schädigenden Ereignisses aus dem Jahr 2009 als von der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegenden Arbeitsunfall.
Das sagt der Richter
Die Klage hatte Erfolg. Das Gericht begründete seine Entscheidung zugunsten des Unfallopfers in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wie folgt: Wer am Arbeitsplatz verletzt wird, steht grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Entscheidend für die Frage, ob auch ein Angriff (z. B. Überfall oder – wie hier – Amokfahrt) als Arbeitsunfall anzusehen ist, sei das Motiv des Angreifers. Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung entfalle nur dann, wenn die Beweggründe ausschließlich dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzurechnen seien. Hierfür treffe den Unfallversicherungsträger die Beweislast. Blieben – wie im Streitfall – die genauen Motive einer Gewalttat am Arbeitsplatz im Dunkeln, habe das Opfer Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Im Streitfall gebe es sowohl Anhaltspunkte für eine Beziehungstat als auch für ein berufsbezogenes Motiv des Täters (SG Berlin, Urteil vom 22.02.2011, Az.: S 25 U 406/10).
Das bedeutet die Entscheidung
Nicht Gegenstand des Rechtsstreits war die Frage, welche konkreten Leistungen die Blumenhändlerin aufgrund der Anerkennung des schädigenden Ereignisses als Arbeitsunfall erhalten kann. In Betracht kommen – laut Sozialgericht – in erster Linie Verletztengeld für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit, Verletztenrente bei fortdauernder Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 % und die Übernahme der Kosten für die erforderliche Heilbehandlung inklusive Reha-Maßnahmen. Diese Leistungen muss die Klägerin in einem anderen Verfahren geltend machen.
Welche Leistungen darüber hinaus noch im Katalog der gesetzlichen Unfallversicherung enthalten sind, erfahren Sie hier.
Streitfall Anerkennung
Über die Frage der Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall, also ob ein Unfall die gesetzlichen Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls (siehe unten) erfüllt, wird häufig gestritten. Berufsgenossenschaften und Gerichte verweigern häufig die Anerkennung eines schädigenden Ereignisses als Arbeitsunfall. Dabei geht es zumeist um die Frage, ob sämtliche erlittenen Verletzungen auf das Unfallereignis zurückgeführt werden können. Ebenso unklar ist oft, ob auch alle Spätfolgen des Unfalls von der Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst werden. Entscheidungserheblich ist § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII:
„Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen."
Wichtiger Hinweis
Die Feststellung, ob ein Unfall die Voraussetzungen eine Arbeitsunfalls erfüllt, erfolgt nach äußerst komplizierten - für juristische Laien kaum nachvollziehbaren – Kausalitätskriterien.
Darüber hinaus bedienen sich Berufsgenossenschaften und Gerichte der Hilfe folgender Checkliste Arbeitsunfall.
Die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall hat zur Folge, dass die zuständige Berufsgenossenschaft für die entstandenen körperlichen und finanziellen Schäden des Unfallopfers aufkommen muss.
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