EuGH bestätigt 15-monatige Beschränkung des Urlaubsanspruchs bei Arbeitsunfähigkeit
Arbeitsunfähiger Arbeitnehmer fordert Urlaub für vergangene drei Jahre nach
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied gestern, dass der Anspruch auf Jahresurlaub eines langfristig arbeitsunfähigen Arbeitnehmers zeitlich beschränkt werden darf. Im Ausgangsfall ging es um einen Arbeitnehmer (Herrn Schulte), der seit 1964 bei dem deutschen Unternehmen KHS AG beschäftigt war. Auf das Arbeitsverhältnis fand ein Tarifvertrag Anwendung, wonach der Anspruch auf bezahlten Urlaub 30 Tage im Jahr betrug. Dieser Tarifvertrag erlaubt die Abgeltung nicht genommenen Jahresurlaubs nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses und sieht vor, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der wegen Krankheit nicht genommen wurde, nach Ablauf einer Übertragungsfrist von 15 Monaten nach dem Bezugszeitraum (Kalenderjahr) erlischt. 2002 erlitt der Arbeitnehmer einen Herzinfarkt, infolge dessen er schwerbehindert ist und für arbeitsunfähig erklärt wurde. Bis August 2008, dem Zeitpunkt, zu dem sein Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen KHS endete, bezog er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. 2009 erhob der Arbeitnehmer vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm Klage auf Abgeltung des nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs für die Jahre 2006, 2007 und 2008. Das LAG stellte fest, dass der Urlaubsanspruch 2006 nach der deutschen Regelung und nach dem Tarifvertrag wegen des Ablaufs des Übertragungszeitraums erloschen sei. Daher legte es dem EuGH die Frage vor, ob eine nationale Regelung oder nationale Gepflogenheiten, nach denen die Übertragung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub bei Arbeitsunfähigkeit zeitlich begrenzt ist, mit der europäischen Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung (RL 20003/88/EG) vereinbar sind.
Beschränkung der Übertragbarkeit auf 15 Monate ist europarechtlich zulässig
Der EuGH verweist diesbezüglich auf seine Rechtsprechung, nach der der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist, von dem nicht abgewichen werden darf und den die nationalen Stellen nur in den Grenzen umsetzen dürfen, die im Unionsrecht ausdrücklich gezogen sind. Der Gerichtshof habe allerdings bereits entschieden, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums umfasst, vorausgesetzt, der Arbeitnehmer hat tatsächlich die Möglichkeit gehabt, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. Ansonsten wäre unter bestimmten Umständen – wie denen des vorliegenden Falls – ein Arbeitnehmer, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, berechtigt, unbegrenzt alle während des Zeitraums seiner Abwesenheit von der Arbeit erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln. Ein Recht auf ein derartiges unbegrenztes Ansammeln würde jedoch nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entsprechen. Dieser Zweck umfasst zwei Aspekte, nämlich dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von seiner Arbeit zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Überschreitet der Übertrag aber eine gewisse zeitliche Grenze, so fehlt dem Jahresurlaub seine positive Wirkung für den Arbeitnehmer im Hinblick auf den in der Erholungszeit bestehenden Zweck; erhalten bleibt lediglich der Zweck hinsichtlich des Zeitraums für Entspannung und Freizeit. In Anbetracht des Zwecks des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub kann ein während mehrerer Jahre in Folge arbeitsunfähiger Arbeitnehmer daher nicht berechtigt sein, in diesem Zeitraum erworbene Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub unbegrenzt anzusammeln. Um dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gerecht zu werden, muss jeder Übertragungszeitraum den spezifischen Umständen Rechnung tragen, in denen sich ein Arbeitnehmer befindet, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist. Dieser Zeitraum muss daher für den Arbeitnehmer insbesondere die Möglichkeit gewährleisten, bei Bedarf über Erholungszeiträume zu verfügen, die längerfristig gestaffelt und geplant werden sowie verfügbar sein können. Zudem muss ein Übertragungszeitraum die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten. Daher kann ein Zeitraum, der wie im vorliegenden Fall 15 Monate beträgt, vernünftigerweise als Übertragungszeitraum angesehen werden, der dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub nicht zuwiderläuft (EuGH, Urteil vom 22.11.2011; Az.: C-214/10 (KHS AG/Winfried Schulte)).
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