Altersdiskriminierung: Kurzarbeit Null für „rentennahe“ Jahrgänge unzulässig
Im Zuge der Wirtschaftskrise versuchten viele Unternehmen, ältere Beschäftigte auf das Abstellgleis abzuschieben. Die Betriebsparteien im nachstehenden Fall wollten die Arbeitnehmer „rentennaher“ Jahrgänge von der Kurzarbeit über eine Transfergesellschaft direkt in die Rente abschieben.
Der Fall aus der Praxis
Ein älterer Arbeitnehmer wollte nicht aufs Abstellgleis geschoben werden. Dies drohte ihm, da sein Betrieb gezwungen war, auf massive Umsatzeinbrüche zu reagieren. Zu diesem Zweck schloss der Arbeitgeber, in Absprache mit der Arbeitsagentur, mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung. Diese hatte zum Inhalt, dass alle Arbeitnehmer, die älter als 59 Jahre sind, zuerst längerfristig Kurzarbeitergeld Null, dann Leistungen nach einem Transfermodell erhalten und schließlich Arbeitslosengeld bis zum Renteneintritt beziehen sollten. Schmackhaft wurde dem Mitarbeiter dieser Vorschlag gemacht, in dem ihm eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes angeboten wurde, sofern er sich bereit erklären würde, in die Transfergesellschaft zu wechseln. Er lehnte ab und wehrte sich gegen die beabsichtigte Arbeitszeitreduzierung auf Null. Er bot seine Arbeitskraft weiterhin an und klagte auf die Annahmeverzugsvergütung.
Das sagt der Richter
Die Klage hatte Erfolg. Das Gericht machte in seiner Entscheidung deutlich, dass die Vereinbarung unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten keinen Bestand haben kann. Es fehle zum einen an der Regelungskompetenz des Betriebsrats, weil er insofern kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) habe, da es sich nicht nur um eine vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit handele, sondern vielmehr um eine dauerhafte Regelung. Ungeachtet dessen liege auch ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor. Das Ausscheiden aus dem Betrieb durch gezielten Personalabbau mittels eines Kurzarbeitermodells bedeute für ältere Arbeitnehmer eine Altersdiskriminierung, da diese nicht, wie sonst üblich und erforderlich, bei einer betriebsbedingten Kündigung Berücksichtigung erfahren könnten. Damit würde aber der Kündigungsschutz umgangen werden, was nicht mit einer zulässigen unterschiedlichen Behandlung in Einklang zu bringen sei (ArbG Stuttgart, Urteil vom 12.05.2010, Az.: 20 Ca 2326/09).
Das bedeutet die Entscheidung
Die Richter in Stuttgart hatten nicht nur ein Herz für ältere Arbeitnehmer, sondern auch klar gestellt, dass durch findige Aussteigermodelle die gesetzlichen Regelungen nicht ohne weiteres ausgehebelt werden können. Kommt es zu strukturellen Betriebsänderungen, wie etwa durch Auftragsmangel oder Standortverlegungen, sehen sich viele Arbeitgeber gezwungen, ihren Teil dazu beizutragen, die Beschäftigten aufzufangen. Eine Möglichkeit ist die Kurzarbeit Null.
Wichtiger Hinweis
Bei einer betrieblichen Restrukturierung kann auch dann Kurzarbeitergeld geleistet werden, wenn ein dauerhafter Arbeitsausfall vorliegt. In diesen Fällen wird zur Vermeidung von Kündigungen und zur Verbesserung der Vermittlungsaussichten der betroffenen Beschäftigten für maximal zwölf Monate das sogenannte Transferkurzarbeitergeld gezahlt. Die Arbeitnehmer müssen in einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit zusammengefasst werden. Das ist meist eine sogenannte Transfergesellschaft, in welche die Beschäftigten überwechseln. In der Transfergesellschaft wird versucht, die Arbeitnehmer zu qualifizieren und in neue Arbeitsverhältnisse zu vermitteln. Da die Arbeitnehmer dort überhaupt nicht mehr arbeiten, wird dies auch als Kurzarbeit Null bezeichnet.
Betriebsrat bestimmt nicht immer mit
Wird Kurzarbeit Null eingeführt, bedeutet dies auch stets eine Verkürzung der Arbeitszeit auf Null. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sieht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vor, sofern es um vorübergehende Verkürzungen oder Verlängerungen von Arbeitszeiten geht. Zwar geht mit dem Kurzarbeitergeld auch eine Verkürzung der Arbeitszeit einher, im Falle eines anschließenden Wechsels in eine Transfergesellschaft handelt es sich jedoch nicht in jedem Fall um eine vorübergehende Reduzierung - insbesondere dann nicht, wenn ältere Arbeitnehmer, auch bei einer Befristung auf 18 Monate, alleine schon wegen ihres Alters befürchten müssen, einer endgültigen Arbeitsentbindung zum Opfer zu fallen.
Wichtiger Hinweis
Bei entsprechenden Betriebsvereinbarungen muss deshalb klar sein, dass nach Fortfall des Anlasses der Verkürzung der betrieblichen Arbeitszeit die zuvor geltende betriebsübliche Arbeitszeit wieder Gültigkeit erlangt.
Checkliste zum Download
Im Übrigen ist das Model „Transferkurzarbeitergeld“ an weitere Voraussetzungen gebunden. Welche das sind, erfahren Sie anhand unserer Checkliste Voraussetzungen Kurzarbeit Null.
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