Design Thinking in der Praxis: Befragen Sie das Orakel!
Nie war die Zeit so reif, um neue Wege zu beschreiten. Nicht nur, damit der Erfolg des eigenen Unternehmens sichergestellt und gefördert wird. Sondern alleine deshalb, weil ohne Innovation das Überleben am Markt nicht mehr gesichert ist. Denn Innovation gilt mittlerweile als einer der erfolgs- und wettbewerbsentscheidenden Faktoren für Unternehmen schlechthin. Das Problem dabei ist, dass neue und kreative Ideen nicht einfach auf Bäumen wachsen oder vom Himmel fallen. Es braucht Methode und Know-how, um konzentriert und zuverlässig innovative Ideen zu generieren. Design Thinking ist dabei ein möglicher Schlüssel zur Innovation, mit dessen Hilfe sich Kreativität gezielt fördern lässt.
Design Thinking ist eine hervorragende und vor allem sehr wirkungsvolle Möglichkeit, um verschiedene Ansätze und Sichtweisen zunächst in ihrer Ganzheit zu verstehen, und dann darauf aufbauend nachhaltig Probleme aus eben jenen Standpunkten heraus zu lösen. Denn der Asset dieser Methode ist, dass die vielen verschiedenen Elemente eines Gesamtprozesses an einem Tisch zusammengebracht und diskutiert werden. Dazu werden verschiedene, mögliche Lösungsansätze in einem interdisziplinären Team durchgespielt – solange, bis eine Lösung für das tatsächliche Problem gefunden und eine Basis für neue Möglichkeiten gelegt ist.
Klingt recht einfach – zumindest auf den ersten Blick. Doch Design Thinking ist keine fixe Strategie, die sich, einmal erlernt, immer wieder reproduzieren lässt. Es ist vielmehr ein Prozess, der mit der eigenen, individuellen Herausforderung beginnt und danach in mehreren, iterativen Phasen das Problem in seiner Ganzheit aufschlüsselt. All diese Phasen setzen vor allem auf einen Baustein: Empathie. Mit Hilfe verschiedener Techniken wie Interviews, Beobachtungen und Erfahrungsaustausch mit dem Nutzer lässt sich dessen Welt und seine spezielle Sichtweise darauf erforschen. Ist ein Verständnis aufgebaut, wird das eigentliche Problem (neu) definiert. Erst danach werden verschiedene Lösungsansätze in einer weiteren Phase der Ideengeneration erarbeitet. Diese Ideen werden wiederum als Prototypen umgesetzt, die dabei helfen sollen, Feedback zu dem neuen Lösungsansatz direkt vom Kunden einzuholen, damit das Team schnell lernen und mit dem neuen Wissen weiter an der Lösung bauen kann – bis diese passt und sowohl Kunde als auch Unternehmen zufrieden sind.
Das richtige Handwerkszeug
So wie ein Handwerksmeister seinen eigenen Satz an Handwerkzeug hat und sich je nach Auftrag immer wieder aufs Neue bewusst für ein anderes Werkzeug entscheidet, so muss der Design Thinker mit einer Vielzahl verschiedener Techniken vertraut sein, um die jeweils passende Technik für das Projekt und das entsprechende Team auszuwählen. In diesem Beitrag möchte ich Ihnen eine spezielle Technik vorstellen, die ich gerne einsetze, wenn es darum geht, in der kreativen Phase Lösungen zu finden, die nicht den 08/15-Ansatz verfolgen. Gerade in komplexen Projekten, die langwierig sind und bei denen wir verlässliches Expertenwissen, eignet sich die Delphi-Befragung hervorragend.
Design-Thinking-Tool: Die Delphi-Befragung
Sie haben spontan an das Orakel von Delphi gedacht? Sehr gut, denn damit sind Sie auf der richtigen Fährte! Die Delphi-Befragung ist ein Entscheidungsverfahren, bei dem Experten in mehreren Befragungswellen um ihre Einschätzung gebeten werden. Ziel ist es, dass letztendlich zukünftige Ereignisse, Trends, Lösungen für komplexe Probleme erarbeitet werden oder neue Ideen generiert, weitreichende Entscheidungen getroffen oder einfach Meinungen über einen unklaren Sachverhalt gesammelt werden. Die Verwendung dieses Befragungsansatzes geht angeblich tatsächlich auf die antike Orakelstätte in Delphi (Griechenland) im 8. Jahrhundert v.Chr. zurück. So galt das Orakel von Delphi in der damaligen Zeit als heilige Pilgerstätte für Könige, Adelige, aber auch Bauern, die alle nach demselben suchten: Antworten auf ihre persönlichen Lebensfragen.
Das Geheimnis rund um das Orakel
Viele Legenden herrschen rund um das Orakel von Delphi. So soll es u.a. König Laios vorausgesagt haben, dass sein Sohn Ödipus ihn töten und schließlich seine Frau heiraten werde. So geheimnisumwoben das Orakel zur damaligen Zeit auch war, heute lässt sich der Zauber leicht erklären: Während dem gemeinen Fußvolk einfache Ja-Nein-Antworten von Priestern mitgeteilt wurden, die eine Bohne aus einem Tongefäß zogen (weiß bedeutete ja, schwarz nein), durften Reiche und Adelige ihre Fragen direkt an Pythia richten, die in Form von Reimen antwortete. Auf der Suche nach Antworten verrieten nun sowohl Könige als auch Feldherren und mächtige einflussreiche Personen ihre Geheimnisse und Pläne. Diese Informationen nutzten nun die Priester, um logische Schlussfolgerungen über zukünftige Entwicklungen in Griechenland zu ziehen. Erste Hinweise der Nutzung des Ansatzes in der neueren Zeit stammen aus dem Jahr 1948. Damals wurde die Methode eingesetzt, um die Ergebnisse eines Hunde- oder Pferderennens vorauszusagen. In den 70er Jahren fand die Delphi-Methode dann auch ihren Weg in die breitere Öffentlichkeit.
Einsatz und Nutzen im Design Thinking
Zuerst einmal können Sie sich glücklich schätzen: Ihr „Orakel“ wird Ihnen aller Voraussicht nach ausführliche Einschätzungen und nicht bloß ein „Ja“ oder „Nein“ liefern. Daher ist es essentiell, dass Sie zu Beginn erst einmal definieren, was Sie eigentlich erreichen wollen. Was ist das Ziel Ihrer Befragung? Zu welchen Themen suchen Sie eine Einschätzung oder welche Lösungen sollen erarbeitet werden? Erstellen Sie einen Fragebogen, den Sie entweder qualitativ, quantitativ oder in einer Mischung aus beide Vorgehen aufsetzen.
Danach wählen Sie die geeigneten Experten zu einem jeweiligen Fachgebiet aus. Wichtig: Ein gewisses Mindestmaß an Fachwissen zum untersuchenden Gegenstand ist für das Gelingen einer Delphi-Befragung absolut notwendig. Ebenso ist vor allem die Anonymität der Experten untereinander besonders wichtig. So lässt sich die Bildung von Meinungsführerschaften vermeiden und ein nachträgliches Revidieren der Urteile verhindern.
Je nachdem ob die Delphi-Befragung qualitativ und/oder quantitativ angelegt ist, variiert in der Literatur der empfohlene Umfang der Expertengruppe. Es gibt zwar keine offizielle Obergrenze – diese ist immer auch abhängig vom jeweiligen Thema – allerdings sollten es aus Zeit- und Kostengründen nicht zu viele Experten sein. Die Anzahl der Befragungswellen ist vom jeweiligen Ziel der Studie abhängig. Allerdings sollte ein minimaler Rundendurchgang auf jeden Fall stattfinden, um eine gewisse Genauigkeit zu garantieren.
Nun wird der vorher erarbeitete Fragebogen den teilnehmenden Experten am besten elektronisch zugeschickt. Eine Delphi-Befragung wird meistens in mehreren Wellen wiederholt. Damit der Moderator den Verlauf der Meinungsbildung nachvollziehen kann, wird jeder Vorgang mit einer eigenen ID unterlegt.
Ein wichtiger Grundbestandteil von Delphi-Befragungen ist auch, dass Experten Feedback bzw. Informationen über die ausgewerteten Ergebnisse der vorangegangenen Befragungswelle(n) wie beispielsweise Durchschnittswerte, Extremwerte, verbale Äußerungen und Varianzen erhalten. Durch den Informationsaustausch nach jeder Befragungswelle soll eine möglichst hohe Übereinstimmung zwischen den Experten entstehen und damit eine höhere Sicherheit bzw. mehr Präzision bei der abschließenden Prognose erreicht werden.
Eine Delphi-Befragung endet mit einem Abschlussbericht, in dem die Ergebnisse dokumentiert werden und weitere Empfehlungen für die Praxis abgeleitet werden können.
Fazit
Als sogenannte Experten in einem Gebiet fühlen wir uns schneller entmutigt, die wichtigen, aber vermeintlich dummen Fragen zu stellen, die letztlich zu wirklich innovativen Lösungen führen. Die Durchführung einer Delphi-Befragung ist relativ komplex und erfordert erhebliches Methodenwissen, um aus der Befragung auch Nutzen ziehen zu können. Eine echte Delphi-Befragung wird somit eher selten im Kontext eines Einzelprojekts durchgeführt (bzw. nur im Rahmen sehr großer Projekte), sie eignet sich eher für projektübergreifende Initiativen. Delphi hilft dabei, einen guten Überblick über die Einschätzungen der Experten zu erhalten. Daraus können nun Rückschlüsse und mögliche Entwicklungen gewonnen werden.
Innovation ist heute der erfolgs- und wettbewerbsentscheidende Faktor für Unternehmen. Doch auf Knopfdruck kreativ zu sein ist gar nicht so einfach. Die gute Nachricht: Innovation ist kein Zufall. Die ideale und etablierte Methode, um sowohl kreativ als auch systematisch Innovationen zu generieren, ist Design Thinking.
Um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, ist die Wahl der richtigen Techniken entscheidend – ebenso wie der Zeitpunkt, an dem sie im Innovationsprozess zum Einsatz kommen. In ihrem neuen Buch stellt Design-Thinking-Expertin Ingrid Gerstbach 77 praxiserprobte Tools für die tägliche Arbeit im Design-Thinking-Prozess zusammen. Übersichtlich und klar strukturiert erläutert sie die Schlüsselaktivitäten eines jeden Prozessschritts und zeigt detailliert, wie und wann das Verfahren im Projekt eingesetzt werden kann. Eine Anleitung für jede Methode unterstützt Sie bei der Umsetzung in Ihrer täglichen Arbeit.
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Buchgewinn
Hallo,
als Personalentwicklerin bin ich mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. Mit den bekannten Methoden bleibe ich in Workshops und Changeprozessen häufig auf einer Ebene stecken.
Von Design Thinking erhoffe ich mir, neue Methoden und Herangehensweisen kennenzulernen, die die Workshops bereichern und zu einer guten Ideen- und Lösungsfindung beitragen.
Ein Buchgewinn wäre ein wunderbarer Impuls!
Viele Grüße und Dank an das Tesm
Anette Heberlein