Unfall bei Alkohol am Steuer: Vollkaskoversicherung muss bei Unzurechnungsfähigkeit zahlen
Unfall mit mehr als 2,7 Promille
Der Bundesgerichtshof hat sich jetzt zur Unzurechnungsfähigkeit und zum Leistungsverweigerungsrecht der Vollkaskoversicherung bei grober Fahrlässigkeit (Alkohol am Steuer) geäußert. Im Ausgangsfall nahm der Kläger die beklagte Vollkaskoversicherung wegen eines Unfalls in Anspruch. 2008 kam der sich auf einer Rückfahrt von einem Rockkonzert befindende Kläger gegen 7.15 Uhr mit seinem PKW außerorts in einer Kurve nach links von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Laternenpfahl, wodurch am Fahrzeug ein Schaden von ca. 6.400 € entstand. Eine um 8.40 Uhr durchgeführte Blutentnahme ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,7 Promille. Im anschließenden Strafverfahren wurde der Kläger wegen fahrlässigen Vollrausches verurteilt. Die Versicherung verweigerte jede Leistung. Die Klage wurde in den Vorinstanzen abgewiesen.
Kein Leistungsverweigerungsrecht bei Unzurechnungsfähigkeit
Die Revision, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgt hatte, hatte dagegen Erfolg. Der BGH entschied, dass eine Leistungskürzung durch Versicherers nach § 81 Abs. 2 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles ausscheidet, wenn der Versicherungsnehmer unzurechnungsfähig war. Dies kam hier für den Zeitpunkt des Unfalls wegen der hohen Blutalkoholkonzentration des Klägers sowie weiterer Indizien (Blutentnahmeprotokoll, Angaben der den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten) in Betracht. Da das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, ist das Urteil bereits aus diesem Grund aufzuheben und der Rechtsstreit zurückzuverweisen.
Grobe Fahrlässigkeit kann zur Kürzung auf null führen
Sollte eine Unzurechnungsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Unfalls vorgelegen haben, so kann der Vorwurf der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles allerdings auch an ein zeitlich früheres Verhalten anknüpfen. Das ist der Fall, wenn der Versicherungsnehmer vor Trinkbeginn oder in einem Zeitpunkt, als er noch schuldfähig war, erkannt oder grob fahrlässig nicht erkannt hat, dass er im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit einen Versicherungsfall herbeiführen wird. Hierfür ist maßgeblich, ob und welche Vorkehrungen der Kläger, der mit dem PKW unterwegs war und beabsichtigte, Alkohol zu trinken, getroffen hatte, um zu verhindern, dass er die Fahrt in alkoholisiertem Zustand antreten oder fortsetzen wird. Sollte nach den noch zu treffenden Feststellungen von einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kläger auszugehen sein, so ist der Versicherer nach § 81 Abs. 2 VVG berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Anders als die frühere Regelung des § 61 VVG a.F., die bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles kraft Gesetzes eine vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers vorsah ("Alles-oder-Nichts-Prinzip"), enthält § 81 Abs. 2 VVG nunmehr eine Quotenregelung. In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im juristischen Schrifttum ist streitig, ob die Neuregelung dem Versicherer die Möglichkeit eröffnet, seine Leistung gänzlich zu versagen oder ob in jedem Fall eine zumindest anteilige Quote des Schadens zu ersetzen ist. Der BGH urteilt, dass der Versicherer bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen die Leistung vollständig versagen darf, sog. Kürzung auf null. Das kann bei absoluter Fahruntüchtigkeit in Betracht kommen, bedarf aber immer der Abwägung der Umstände des Einzelfalles (BGH, Urteil vom 22.06.2011; Az.: IV ZR 225/10).
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