Keine physische Gewalt – BSG lehnt Entschädigung für Stalking-Opfer ab
Stalking-Opfer, d.h. Personen, die unter beharrlichen Nachstellungen gelitten haben, können laut aktueller Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) nur unter bestimmten Voraussetzungen mit Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz rechnen. Nach diesem Gesetz kann jemand Versorgungsleistungen beanspruchen, wenn er infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Im Ausgangsfall ging es um eine inzwischen 60-jährige Klägerin. Diese hatte mehrere Monate mit einem alkoholkranken Mann zusammengelebt. Ab Oktober 2001 versuchte sie, diese Beziehung zu beenden. Der Mann akzeptierte dies nicht und stellte der Klägerin über zwei Jahre lang nach: Er lauerte ihr immer wieder auf, um sie zu verfolgen und mit ihr zu sprechen, rief sie häufig zu jeder Tages- und Nachtzeit an und sandte ihr SMS, Briefe, Postkarten und "Geschenke". Darüber hinaus veranlasste er missbräuchlich u.a. Einsätze von Polizei, Notarzt und Feuerwehr zur Wohnung der Klägerin. Wiederholt kam es zu Bomben- oder Todesdrohungen des Mannes. Obwohl gegen ihn zwei gerichtliche Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz ergangen waren, ließ er nicht von der Klägerin ab, bis er schließlich wegen Bedrohung und mehrfachen Verstoßes gegen die Schutzanordnungen zu Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Über den gesamten Zeitraum der Nachstellungen kam es ‑ abgesehen von einem Griff an den Arm mit Herumreißen der Klägerin vor einem Geschäft ‑ nicht zu körperlichen Übergriffen. Die Klägerin erkrankte schließlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Erschöpfungs‑ und Angstzuständen, Nervosität, Konzentrations‑ und Schlafstörungen; diese Erkrankung führte dann zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.
Nach Auffassung des BSG ist Stalking, das seit 2007 ein besonderer Straftatbestand ist, nicht generell als tätlicher Angriff im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes zu werten. Dieser Begriff setzt grundsätzlich eine in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung voraus. Je geringer dabei die Kraftanwendung durch den Täter ist, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Drohung mit Gewalt ist nur dann als tätlicher Angriff anzusehen, wenn die Gewaltanwendung unmittelbar bevorsteht. Hingegen reichen "gewaltlose", insbesondere psychische Einwirkungen auf das Opfer nicht aus. Da sich das Berufungsgericht in dem mit der Revision angefochtenen Urteil nicht an diesen Maßstäben orientiert hat, fehlen genauere Tatsachenfeststellungen. Damit diese nachgeholt werden können, wird die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen (BSG, Urteil vom 07.04.2011; Az.: B 9 VG 2/10 R).
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