Behinderte Kinder: Finanzgericht lehnt Zugriff der Kommune aufs Kindergeld ab
Derzeit prüfen viele Kommunen, die Grundsicherungsleistungen für behinderte Kinder erbringen, ob sie auf das für diese Kinder gezahlte Kindergeld zugreifen können bzw. müssen. Das Finanzgericht (FG) Münster hat in einem gerade veröffentlichten Urteil erste Grundsätze für die sogenannte Abzweigung von Kindergeld bei behinderten, im Haushalt ihrer Eltern lebenden Kindern aufgestellt. Die aktuelle Entscheidung ist nach Angaben des Gerichts - obwohl naturgemäß von den besonderen Umständen des Einzelfalles geprägt - für Betroffene eine wichtige Orientierungshilfe.
Im Streitfall ging es um Kindergeld, das eine Mutter für ihren volljährigen schwerstbehinderten Sohn bezieht. Dieser lebt im Haushalt seiner Eltern und ist an den Werktagen in einer Behindertenwerkstatt tätig und erzielt daraus ein geringes Einkommen. Seine Eltern erhalten Pflegegeld der Pflegestufe III, die Stadt zahlt an das Kind Grundsicherungsleistungen bei Erwerbsminderung. Daher war die Kommune der Meinung, dass das Kindergeld an sie - und nicht an die kindergeldberechtigte Mutter - auszuzahlen sei, und zwar unabhängig davon, ob bzw. in welcher Höhe die Eltern Aufwendungen für das Kind getragen haben. Nachdem die Familienkasse den Abzweigungsantrag der Stadt abgelehnt hatte, klagte diese vor dem Finanzgericht. Die in dem Verfahren als Beigeladene beteiligte Mutter verwies auf die von ihr getragenen Aufwendungen (z.B. für Arzneimittel, Kleidung, Urlaub etc.) sowie die von ihr erbrachten Pflegeleistungen, die deutlich über dem an sie ausgezahlten Kindergeld liegen.
Das FG gab der Mutter Recht und lehnte eine Abzweigung des Kindergeldes an die Stadt ab. Das Gericht stellte klar, dass eine Abzweigung an die Kommune nicht in Betracht komme, wenn kindergeldberechtigte Eltern Aufwendungen für ihr Kind tragen, die mindestens so hoch sind wie das Kindergeld. Dabei seien – anders als die Stadt meine – nicht nur solche Aufwendungen zu berücksichtigen, die den behinderungsbedingten Mehrbedarf oder das (sozialhilferechtliche) Existenzminimum deckten. Das Gericht machte deutlich, dass es bei im Haushalt der Eltern lebenden, behinderten Kindern darauf ankomme, den gesamten Lebensbedarf des Kindes zu ermitteln und diesen den eigenen Einkünften und Bezügen des Kindes gegenüber zu stellen. Nur wenn sich hier eine Deckungslücke ergebe, sei hinreichend nachvollziehbar, dass der insoweit bestehende Lebensbedarf des Kindes aus dem "gemeinsamen Topf", in den das Einkommen der Eltern geflossen sei, gedeckt wurde. Das Gericht stellte zudem klar, dass die Berücksichtigung fiktiver Kinderbetreuungskosten ausgeschlossen sei. Aufwendungen z.B. für Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege, Bekleidung, Hausrat, Freizeit oder Urlaub seien von den Eltern zu beziffern und auch glaubhaft zu machen. Dabei gelte grundsätzlich das Monatsprinzip; abweichend komme allerdings auch eine gleichmäßige Verteilung von Aufwendungen auf das Jahr oder gar auf mehrere Jahre in Betracht, wenn es um regelmäßig wiederkehrende Aufwendungen gehe. In Bezug auf den Betreuungs- und Pflegeaufwand von kindergeldberechtigten Eltern spreche grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Pflegegeld insgesamt für die Sicherstellung der häuslichen Pflege verwendet wird. Das Pflegegeld stehe demnach – so das Gericht – nicht für die Bestreitung des Grundbedarfs oder eines anderweitigen behinderungsbedingten Bedarfs des Kindes zur Verfügung. Allerdings müssten kindergeldberechtigte Eltern, die einen höheren – über dem Pflegegeld liegenden – Betreuungs- und Pflegeaufwand geltend machten, diesen konkret darlegen (FG Münster, Urteil vom 25.03.2011; Az.: 12 K 1891/10 Kg).
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