Mitarbeiter tut nichts gegen sexuellen Übergriff - Fristlose Kündigung trotzdem gekippt
Einem langjährig beschäftigen Arbeitnehmer, der mit der Betreuung und Beaufsichtigung von Internatsgästen betraut ist, kann im Einzelfall nicht wirksam fristlos gekündigt werden, wenn er zwar einer Internatsbewohnerin Hilfestellung hätte leisten müssen, jedoch guten Glaubens einen Sachverhalt unterschätzt und deshalb nichts bzw. zu wenig unternommen hat. Dies hat jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. Der nicht pädagogisch ausgebildete Kläger war seit 1981 beim Arbeitgeber beschäftigt und mit der Beaufsichtigung und Betreuung der Internatsgäste betraut. Wegen seiner langen Betriebszugehörigkeit war er ordentlich unkündbar. Im Oktober 2009 hatte er Nachtdienst. In dieser Nacht kam es zu einem sexuellen Übergriff auf eine damals knapp 17jährige Internatsbewohnerin durch einen betrunkenen Schüler einer benachbarten Schule. Der Schülerin gelang es, in ihr Zimmer zu flüchten und den sie verfolgenden jungen Mann mit Hilfe ihrer Zimmermitbewohnerinnen auszusperren. Auf den ersten Notruf, dessen Inhalt unklar geblieben ist, erschien der Kläger nicht. Nach einem weiteren suchte er das Zimmer auf, empfahl letztendlich jedoch nur, sich schlafen zu legen, das Zimmer von innen zu verriegeln und am nächsten Morgen alles Weitere zu klären. Dann ließ er die drei Bewohnerinnen allein. Für sich klärte er noch die Identität des Schülers. Weiteres veranlasste er in dieser Nacht nicht. Wie weit der sexuelle Übergriff ging, war nicht Gegenstand des arbeitsgerichtlichen Verfahrens. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos. Das Arbeitsgericht gab – wie auch das Berufungsgericht – der Kündigungsschutzklage statt. Der Kläger habe zwar durch sein zögerliches Handeln verschiedene Vertragspflichten verletzt. Die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei dennoch keine angemessene Reaktion. Bei der Interessenabwägung seien das Lebensalter (55 Jahre) und auch die lange, unbeanstandete Betriebszugehörigkeit, von Bedeutung. Es müsse aber auch berücksichtigt werden, dass der Kläger die Schwere des Vorfalls nicht richtig erkannt und den Sachverhalt unterschätzt habe. Die Kette der Pflichtverletzungen sei als einheitliches Geschehen auch einheitlich zu gewichten. Eine Abmahnung sei in diesem Fall als milderes Mittel ausreichend gewesen (LAG Schleswig Holstein, Urteil vom 16.06.2010; Az.: 3 Sa 144/10).
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