Reflektierte Personalauswahl - Warum Bauchgefühl oft Bullshit ist
Ich habe in meiner Praxis oft die Aussage gehört: „Ich entscheide das nach meinem Bauchgefühl.“ Gerade hinsichtlich Personalentscheidungen ist das oft ein fataler Fehler. Auf diese, meine Einschätzung kommen dann in der Regel Einwände, wie: „Ich kann mich auf meine Intuition immer verlassen.“ Auch eine Fehleinschätzung, wie wir noch sehen werden.
Es gibt auch eine mildere Version der „Bauchgefühl-Fraktion“. Das sind diejenigen, die der Ansicht sind: Bauchgefühl ist gut, aber nur, wenn man die nötige Erfahrung als Fundament mitbringt. Das ist zwar ein Schritt weiter gedacht, aber es reicht noch nicht aus, um dem Kernproblem zu entgehen: Es ist eine Art der Selbsttäuschung, der wir alle von Natur aus unterliegen. Die Folge dieser Täuschung ist im schlimmsten Fall ein Arbeitsvertrag mit einem Menschen, der nicht zu unserer Firma passt und unter Umständen sogar Schaden anrichtet. Und selbst wenn wir dessen in der Probezeit gewahr werden, kostet uns so ein Vorgang eine Menge Geld.
Warum ist das so? Warum machen wir solche Fehler?
Der Kern der Herausforderung liegt darin, dass das Gehirn Energie sparen und möglichst effizient Ergebnisse produzieren will (ob diese nun stimmen oder nicht). Reflektion, Nachdenken, bewusstes Hinterfragen kostet Zeit und vor allem – Energie. Das ist aus Sicht eines ökonomisch ausgerichteten Organs wie dem Gehirn nicht sonderlich reizvoll. Dennoch müssen die Phänomene in der Umwelt eingeordnet werden und die nötigen Schlüsse für unsere Haltung gezogen werden, Ökonomie hin oder her. Damit das klappt, braucht die Gehirnmechanik Abkürzungen und Automatismen. Das schöne an diesen Mechanismen ist: Sie fallen uns nicht auf. Das liegt in erster Linie daran, dass sie, wenn sie uns bewusst wären, Anlass zur Reflektion geben würden. Das würde aber weitere Energieverschwendung nach sich ziehen. Also bleiben diese Abkürzungen unterhalb des Radars. Verstehen Sie mich nicht falsch: Diese Mechanismen sind überlebenswichtig und machen einen hervorragenden Job, nur sind sie manchmal die falschen Werkzeuge. Sie würden einen Kunsttischler, der fantastische Produkte hervorbringt, dennoch keine Gehirnoperation durchführen lassen, oder?
All die Mechanismen in einem Artikel aufzulisten würde den Rahmen sprengen. Aus diesem Grund habe ich exemplarisch ein paar herausgegriffen. Es handelt sich u.a. um sogenannte Heuristiken. Eine Reihe von Heuristiken sind in unten stehender Tabelle aufgelistet. Die Liste stellt nur eine Auswahl dar und ist nicht vollständig.
Heuristik | Beschreibung | |
Affektheuristik | Es handelt sich um eine Urteilsheuristik, die auf einem Gefühl basiert. Dieses muss nicht bewusst wahrgenommen werden. Meist wird es in „gut“ oder „schlecht“ eingeteilt. Wird später darüber reflektiert, wird das Urteil oft rationalisiert. | |
Verfügbarkeitsheuristik | Es handelt sich um eine Urteilsheuristik, in der das Urteil davon abhängig gemacht wird, woran man sich leicht erinnert, was als Vergleichswert leicht verfügbar ist. | |
Repräsentativitätsheuristik | Es handelt sich um eine Urteilsheuristik, bei der einzelne Information als repräsentativ für eine ganze Klasse genommen wird, ohne, dass das rational begründbar wäre. | |
Ankerheuristik | Auf der Grundlage einer bestimmten Information wird ein Anker gesetzt. An diesem Anker orientieren sich alle weiteren Urteile. (Beispiel: Erster Eindruck) |
Tabelle „Heuristiken“
Ein Beispiel: Sie haben ein Gespräch mit einem Bewerber. Am Wochenende zuvor hatten Sie einen Streit mit ihrem Onkel Willie. Doch daran denken Sie gerade gar nicht, denn nun öffnet sich die Tür und Sie sehen den Bewerber. Dieser hat eine ähnlich Mimik wie Ihr Onkel Willie. Das nehmen Sie aber nur unterschwellig wahr. Alles was Sie bewusst wahrnehmen, ist, dass Ihnen die Person von vornherein unsympathisch ist. Als Sie den Lebenslauf des Bewerbers sehen, entdecken Sie eine Lücke im Lebenslauf. Abgesehen davon ist es für Sie nicht nachvollziehbar, warum der Bewerber so ein gutes Zeugnis vom letzten Arbeitgeber bekommen hat. Sie entscheiden sich schließlich gegen den Bewerber.
Was ist hier passiert? Als erstes lag ein negativer Affekt vor: Der Streit mit Onkel Willie. Dann kam eine weitere Heuristik ins Spiel. Sie haben die Mimik des Bewerbers mit der von Onkel Willie verglichen (unbewusst), denn das war die am schnellsten verfügbare Information (Verfügbarkeitsheuristik). Außerdem waren Sie aufgrund Ihrer Stimmungslage ohnehin recht kritisch eingestellt (Affektheuristik). Schließlich haben Sie das negative Bild, zu dem Sie gekommen sind auf die Informationen aus dem Lebenslauf bezogen (Repräsentativitätsheuristik). Der Bewerber hatte keine Chance, denn Ihr „Bauchgefühl“ war gespeist von den Automatismen, die wir alle haben. Selbst, wenn wir viel Erfahrung haben, schmälert das nicht den Einfluss der Heuristiken.
Genau diese kognitive Verzerrung passiert uns im Grunde allen jeden Tag im kleinen Rahmen. Das ist in der Regel nicht weiter tragisch. Nur hier behindert es die berufliche Zukunft eines Menschen, der vielleicht hochgradig kompetent ist und gut zu uns passen würde. Das werden wir nun nie erfahren. Um diesem blinden Fleck zu entgehen, brauchen wir Prozessabläufe, die eine Reflektion sicherstellen und die eingehalten werden. Gerade bei der Personalauswahl sollten objektivere Kriterien angesetzt werden, anstatt sich nur auf das Bauchgefühl zu verlassen, denn das kann uns täuschen, wie wir gesehen haben. Ein möglicher Workflow wäre:
- Man analysiert das Team, das Bedarf hat, um dessen Triebfedern, dessen Stärken und dessen Schwächen zu kennen.
- Man setzt Mindestkriterien an, nach denen aus den Bewerbern ausgefiltert wird.
- Man setzt sich mindestens zu zweit in ein Gespräch und bespricht sich sofort hinterher.
- In der 2. Runde dürfen die Bewerber eine Persönlichkeitsanalyse machen, die sicherstellt, dass ihr Erleben und ihre Triebfedern zu denen der Firma und des Teams passen.
- Aufgrund der Ergebnisse wird noch einmal gefiltert.
- Jetzt – nach eingehender prozessoptimierter Reflektion – können wir entspannt nach Bauchgefühl entscheiden.
Dies ist nur ein exemplarischer Workflow. Jede Firma hat ihre eigenen Abläufe. Ein Einwand, der häufig kommt, ist: Das kostet doch viel zu viel Geld und Zeit.
Wenn Sie allerdings bedenken, wie teuer es ist, jemanden einzustellen, der die Teamdynamik ineffizienter macht, dann kommen Sie schnell zu dem Schluss, dass Prävention kostengünstiger ist. Jede Firma arbeitet mit ihren eigenen Lieblings-Methoden, was die Persönlichkeitsanalyse angeht. Von Insights, über Big5 bis hin zum Enneagramm. Ich persönlich arbeite gerne mit Profile Dynamics, da diese die Erlebensweise und die Triebfedern des Menschen individuell nachvollziehbar machen und Analysen im Zweifelsfall innerhalb einer Stunde vorliegen können. Das soll aber jeder für sich selbst entscheiden. Wichtig ist nur, dass Sie ein Tool zur Verfügung haben.
Um also die Automatismen auszuhebeln, die uns allen inne wohnen und die uns oft zum Narren halten, brauchen wir mit unseren Absichten kongruente Entscheidungsabläufe. Diese sollten auf jeden Fall eine valide Persönlichkeitsanalyse beinhalten, damit wir sicherstellen, dass wir nicht aufgrund von Vorurteilen entscheiden. Das Bauchgefühl ist nicht ausgeschlossen, nur nimmt es einen begrenzteren Platz ein und kann bei der finalen Entscheidung auf dem Chefsessel sitzen. Genau das ist mit reflektiertem Bauchgefühl gemeint und genau das wird uns langfristig viel Ärger und Kosten ersparen.
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