Experten-Interview: So gelingen Konferenzen mit der Open Space Methode
Auch in der modernen Unternehmenswelt sind Konferenzen trotz zunehmender Digitalisierung ein probates Mittel, um neue Geschäftsideen zu generieren und eventuelle Fehler im aktuellen Prozess zu aufzudecken. Eine besonders geeignete Methode für Großgruppen stellen dabei Open Space Konferenzen dar. Unser Experte Florian Grolman, geschäftsführender Berater bei der initio-Organisationsberatung erklärt, wie Sie diese Methode erfolgreich umsetzen.
Für einige unserer Leser ist die Open Space Methode sicherlich Neuland. Bitte skizzieren Sie die Methode kurz und gehen Sie dabei auch gern auf die einzelnen Phasen einer entsprechenden Veranstaltung ein?
Florian Grolman: Eine Open Space Konferenz besteht aus sechs Phasen:
- Einführung / „Raum öffnen“
- Sammeln der Anliegen
- Marktplatz
- Bearbeiten der Anliegen
- Zusammenführen der Ergebnisse
- Vereinbarungen und nächste Schritte
Was verbirgt sich hinter den einzelnen Schritten?
Florian Grolman: Bei der Einführung erklärt man den Teilnehmenden den Ablauf und die Open Space Prinzipien so gut, dass sie die zugrundeliegenden Prinzipien gut verstehen und verinnerlichen. Eine gute und professionelle Einführung ist in diesem Sinne eine der wesentlichen Erfolgsfaktoren – wer das nicht ordentlich macht, geht das Risiko ein, dass sich einzelne Teilnehmer im offenen „Charakter“ der Open Space Methode „verloren“ fühlen.
Beim „Sammeln der Anliegen“ werden die Teilnehmenden eingeladen, ihre Themen in Bezug auf die Konferenz zu formulieren und den anderen vorzustellen und in eine Art „Stundenplan“ einzutragen.
In der „Marktplatz-Phase“ können die Teilnehmer dann ihre persönliche Agenda zusammenstellen und die Arbeits- bzw. Anliegengruppen besuchen, die sie wirklich interessieren.
In der „Arbeitsgruppen- bzw. Anliegen-Phase“ passiert dann die eigentliche Arbeit. Hier werden die Themen bearbeitet und Ergebnisse erzielt. Die Ergebnisse aus jeder Arbeitsgruppe werden nach einem bewährten Schema dokumentiert, so dass die anderen Teilnehmer von den Ergebnissen aus allen Arbeitsgruppen profitieren können – auch von denen, die sie selber nicht besucht haben. In einer Lese- und Ergänzungsphase werden die Ergebnisse vergemeinschaftet und zusammengeführt.
Und um die Ergebnisse möglichst sehr weit zu konkretisieren, werden in der „Vereinbarungs-Phase“ ganz konkrete Verabredungen getroffen, wie die Themen weiterbearbeitet werden.
Das klingt sehr aufwendig. Geht das auch ein bisschen „schlanker“?
Florian Grolman: (lacht) Sie sind nicht die erste, die das fragt. Aber bedenken Sie: Open Space entfaltet besonders dort seine Stärken, wenn es darum geht, • komplexe Sachverhalte in relativ kurzer Zeit aus allen möglichen Blickwinkeln zu „durchleuchten“, viele Beteiligte in einen Einigungs- und Entwicklungsprozesse einzubeziehen und um gemeinschaftliches bei allen Teilnehmenden zu initiieren bzw. zu fördern. Das alles passiert in einem sehr interaktiven Setting, der sich von „normalen“ Frontalbeschallungs-Konferenzen abhebt – und daher von den Eingeladenen sehr geschätzt wird.
Wenn Sie das in „herkömmlichen“ Konferenz- oder Workshop-Formaten erreichen wollten, müssten Sie meist mehr Zeit einplanen. Insofern ist die „Open Space“ Methode im Vergleich relativ effizient und produziert in relativ kurzer Zeit viele Ergebnisse in hoher Qualität.
Ist es nicht eine große Hürde für die Teilnehmer, vor einer größeren Gruppe ihr Thema vorzustellen?
Florian Grolman: Wir hören diesen Einwand natürlich nicht zum ersten Mal. Aber wer gut erklärt, worum es geht, was der inhaltliche Schwerpunkt ist und welches die Chancen der Methode sind, der wird erleben, dass die Teilnehmenden große Lust haben, ihre eigenen Themen bzw. „Anliegen“ zu formulieren und Verantwortung für die eigenen Anliegen zu übernehmen. Eine professionelle und erfahrene Moderation hilft also dabei, dass das Wissen aller Teilnehmer als wertvolle Ressource genutzt werden kann.
Das „Gesetz der zwei Füße“ ist ein zentraler Bestandteil der Open Space Methode. Was hat es damit auf sich?
Florian Grolman: Wer in einer Arbeitsgruppe sitzt und merkt, „das interessiert mich hier doch nicht so sehr, wie ich dachte“ oder „ein anderes Thema auf der Agenda fand ich auch interessant, da würde ich auch gerne teilnehmen“, dem ist es ausdrücklich erlaubt, seine „zwei Füße“ zu nutzen und eine andere Arbeitsgruppe zu besuchen. Das bricht ja explizit mit den meisten Gewohnheiten und kulturellen Konventionen. Wenn wir daraus eine Art „Gesetz“ für die Dauer der Konferenz machen, besetzen wir die Freiheit der Teilnehmenden positiv, machen also eine Art „Reframing“. Teilnehmer aus allen möglichen Unternehmenskulturen schmunzeln meist dabei – und machen dann lustvoll davon Gebrauch. Das steigert letztlich den „Nutzwert“ der Konferenz aller, denn so bleiben die Anliegengruppen fokussiert (um keine Teilnehmer*innen zu verlieren) und die Teilnehmenden werden davor bewahrt, ihre Zeit unproduktiv zu verbringen.
Welcher „Mehrwert“ entsteht im Vergleich zu „herkömmlichen“ Konferenzen?
Florian Grolman:
- Open Space ist ein sehr interaktives Format. Man aktiviert damit alle Teilnehmenden und nutzt die Erfahrung und das Wissen der Teilnehmenden als wertvolle Ressource. Das ist besonders für Unternehmen und Organisationen interessant, die sich vor komplexen Herausforderungen sehen und darauf angewiesen sind, dass alle wichtigen Beteiligtengruppen ihre Kompetenzen und Erfahrungen zur Lösung eines Problems einbringen
- In relativ kurzer Zeit werden viele wertvolle Ergebnisse produziert.
- Die Ergebnisse aus allen Arbeitsgruppen liegen strukturiert vor und können im Nachgang weiter genutzt und weiter entwickelt werden.
- Eine Open Space Konferenz bewirkt ein hohes Maß an Motivation bei den Teilnehmenden, die im Nachgang weiter genutzt werden kann und sollte – z.B. wenn es darum geht, die Themen weiter zu verfolgen.
Welches sind typische Anwendungsszenarien bzw. in welchen Settings hat sich Open Space besonders bewährt?
Florian Grolman: Die Methode lässt sich in wirklich sehr vielen Szenarien sehr effektiv anwenden. Unter anderem haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht bei
- Projekt-Kickoffs: Wenn es darum ging, die Ideen und auch Fragen der unterschiedlichen Beteiligtengruppen zu strukturieren, zu bearbeiten und für den weiteren Projektverlauf konstruktiv zu nutzen
- Um Netzwerke zu stärken oder Verbände zu gründen
- Um Leitbilder zu entwickeln – und dabei möglichst viele Themen und Aspekte von Mitarbeitenden selber entwickeln zu lassen
- Um Details einer Unternehmensstrategie zu entwickeln, zu verfeinern oder zu überprüfen ... um nur einige Beispiele zu nennen.
Grundsätzlich kann man sagen: Immer dann, wenn es darum geht, viele Beteiligte in einem Bottom-Up Prozess einzubeziehen oder das implizite und explizite Wissen in Gruppen zu nutzen, eignet sich diese Methode sehr gut.
Welches sind kritische Erfolgsfaktoren, damit eine Open Space Konferenz wirklich gelingt kann?
Florian Grolman: Die Methode räumt den Teilnehmenden viele Freiräume ein – von der Erstellung der Konferenzagenda bis zur Entscheidung, welche Themen bearbeitet werden. Da braucht es quasi als „Gegengewicht“ einen klare „inhaltliche Rahmung“. Es muss also vorher klar sein, wozu die Teilnehmenden geladen sind – und wozu auch nicht, damit der inhaltliche Fokus nicht verloren geht. Außerdem braucht es in den „Arbeits- bzw. Anliegengruppen“ eine klare Struktur, damit die Gruppen effizient arbeiten können. Nach vielen von uns durchgeführten Konferenzen haben wir die Methode entsprechend weiter entwickelt, so dass sie auch in modernen Unternehmenskulturen „anschlussfähig“ bleibt.
Gibt es auch „Risiken“ bzw. Kulturen, zu denen die Methode nicht so gut passt?
Florian Grolman: Die offene Struktur ist Risiko und Chance zugleich. Manche Unternehmenskunden fragen uns natürlich schon, ob eine Methode, die aus den 90er Jahren stammt, heute noch zeitgemäß sein kann. Schließlich hatte man damals spürbar weniger Wettbewerbsdruck, die Innovationszyklen waren noch nicht so schnell wie heute und man konnte sich mehr Zeit nehmen für Entwicklungsschritte. Heute braucht es gute Argumente, um Mitarbeiter für 2 Tage in einen Großgruppenworkshop zu schicken, wenn währenddessen andere Arbeit zwangsläufig liegen bleibt. Daher haben wir inzwischen „Open Space“ Kurzformate entwickelt, die auch in 6 Stunden durchführbar sind - mit sehr guten Resultaten.
Und wenn Sie mich nach kritischen Erfolgsfaktoren fragen: Uns ist sehr wichtig, dass Kunden das offene Vorgehen, das dem Format zugrunde liegt, als Ressource verstehen und „mittragen“. Manche Kunden müssen sich erst an den Gedanken gewöhnen, dass sie den Ablauf einer Konferenz nicht in allen Details, wie zum Beispiel der Erstellung der Konferenz-Agenda, beeinflussen können. Wer Schwierigkeiten hat, in die Kompetenz und das Augenmaß der Teilnehmenden nicht vertrauen kann, wird sich eher nicht für diese Methode entscheiden.
Dann ist es wohl umso wichtiger, die Konferenz bestmöglich vorzubereiten und „aufzugleisen“, damit die Konferenzziele insgesamt erreicht werden. Welche Rolle spielt dabei der Vorbereitungsworkshop, den Sie auf Ihrer Website empfehlen?
Florian Grolman: Das ist ein entscheidender Punkt: Ein gründlicher Vorbereitungsworkshop ist aus unserer Sicht einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren. Wir empfehlen stets, das Thema der Konferenz mit Vertretern derjenigen Beteiligtengruppen, die später auch an der Konferenz teilnehmen, gemeinsam zu entwickeln. Auf diese Weise
- überprüfen wir und die Auftraggeber gemeinsam, welche ergänzenden Sichtweisen die Teilnehmenden auf das Konferenzthema haben
- stellen wir sicher, dass die Überschrift der Konferenz die Teilnehmenden wirklich gut „abholt“ und den Kern der Fragestellungen trifft, die den Teilnehmenden wirklich „unter den Nägeln brennt“
- minimieren wir das Risiko dramatisch, dass Themen auf die Agenda kommen, die dort im Konferenz-Kontext nicht hingehören und
- dass die Auftraggeber der Konferenz am Ende auch die Ergebnisqualität bekommen, die sie brauchen, um mit den Ergebnissen produktiv und zeitnah weiterarbeiten zu können.
Anders gesagt: Je gründlicher der Vorbereitungsprozess, desto besser ist am Ende die Qualität der Ergebnisse.
Herr Grolman, wir danken für dieses interessante Gespräch.
- Kommentieren
- 6963 Aufrufe