Insolvenzanfechtung – Nicht immer kann der Insolvenzverwalter Gehalt zurückfordern
Insolvenzverwalter fordern regelmäßig Gehalt zurück
Die Insolvenzordnung (InsO) erlaubt es unter bestimmten Umständen, im Insolvenzverfahren nicht vom Vermögen des Schuldners zum Zeitpunkt des Insolvenzantrages, sondern von demjenigen Schuldnervermögen auszugehen, dass bspw. drei Monate vor dem Zeitpunkt der ersten zulässigen Antragstellung bestand. Der Insolvenzverwalter erhält diesbezüglich das Recht zur Insolvenzanfechtung. Wird eine Rechtshandlung (zum Beispiel eine Zahlung an einen damaligen Gläubiger) erfolgreich angefochten, kann der Insolvenzverwalter diesem Gläubiger gegenüber die Rechtshandlung rückgängig machen. Dieser wird dann einfacher Insolvenzgläubiger und insofern mit seiner Forderung nur auf die Insolvenzmasse verwiesen. Besonders gravierend wird dies, wenn der Insolvenzverwalter an Arbeitnehmer vor Insolvenzanfechtung ausbezahlte Löhne zurückfordert. Dies betrifft insbesondere Arbeitnehmer, deren Gehälter in der früheren Fassung der Konkursordnung separat behandelt und damit geschützt wurden. Das Bundesarbeitsgericht hat die Insolvenzanfechtung gegenüber Arbeitnehmern allerdings jetzt erschwert.
Der Fall aus der Praxis
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter in einem am 10.09.2007 aufgrund eines Antrags vom selben Tag eröffneten Insolvenzverfahren. Der Kläger war bei der Schuldnerin seit dem 13.11.2003 als handwerklicher Betriebsleiter beschäftigt. Ab 2006 geriet die Schuldnerin mit den Lohn- und Gehaltszahlungen in Rückstand. Am 04.05.2007 erhielt der Kläger Gehalt für Januar 2007 i. H. v. 900,00 Euro netto und am 07.05.2007 i. H. v. 310,12 Euro netto. Ebenfalls am 07.05.2007 zahlte ihm die Schuldnerin Gehalt für Februar 2007 i. H. v. 2.342,19 Euro netto und am 10.05.2007 Gehalt für März 2007 i. H. v. 2.310,89 Euro netto. Der Insolvenzverwalter focht mit einem Schreiben vom 01.10.2007 diese Gehaltszahlungen i. H. v. insgesamt 5.863,20 Euro netto an und forderte den Kläger ohne Erfolg auf, die erhaltenen Beträge zur Insolvenzmasse zurückzuerstatten. Mit seiner Klage hat der Betriebsleiter die Feststellung begehrt, dass er den vom Beklagten beanspruchten Betrag nicht zurückzahlen muss. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.
Das sagt das Gericht
Auch die Revision des Betriebsleiters blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos. Soweit die Gehaltszahlungen der Schuldnerin im Mai 2007 der Vergütung der vom Kläger in den vorausgehenden drei Monaten erbrachten Arbeitsleistungen dienten, unterlagen sie als Bargeschäft i. S. v. § 142 InsO nicht der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO, weil noch der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang mit der Gegenleistung bestand. Im Übrigen war die Annahme des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, der Beklagte habe keine Tatsachen vorgetragen, aus denen eine positive Kenntnis des Klägers von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bei den Gehaltszahlungen im Mai 2007 abgeleitet werden könnte. Ohne Rechtsfehler habe das Landesarbeitsgericht auch die Kenntnis des Klägers von Umständen verneint, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen ließen. Die Kenntnis von der zeitlichen Dauer und Höhe der eigenen Gehaltsrückstände sowie von dem Umstand, dass die Schuldnerin gegenüber einem Großteil der anderen Arbeitnehmer seit mehreren Monaten mit Vergütungszahlungen in Rückstand geraten war, war dafür unzureichend. Sie ließ noch kein eindeutiges Urteil über die Liquiditäts- und Zahlungslage der Schuldnerin zu. Bei seiner Würdigung durfte das Landesarbeitsgericht berücksichtigen, dass der Betriebsleiter keinen Einblick in die Finanzbuchhaltung der Schuldnerin hatte, dass er keine Leitungsaufgaben im kaufmännischen Bereich wahrgenommen hatte und dass der Schuldnerin Material noch auf Rechnung geliefert worden war. Ebenso wenig war es revisionsrechtlich zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht auch die Kenntnis des Klägers von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO) verneint hat (BAG, Urteil vom 06.10.2011; Az.: 6 AZR 262/10).
Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter
Die Insolvenzordnung sieht in den §§ 129 ff. InsO die Anfechtung von Rechtshandlungen durch den Insolvenzverwalter vor, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Gläubiger benachteiligen, soweit nicht das redliche Vertrauen darauf, dass vor der Insolvenzeröffnung erfolgte Verfügungen des Schuldners Bestand haben, für schutzwürdig angesehen wird. § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO regelt u. a., dass eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt hat, anfechtbar ist, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte. Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO ist u. a. eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird diese Kenntnis vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Bargeschäfte sind nach § 142 InsO nur unter den Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Was durch anfechtbare Handlung erlangt ist, muss gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden.
§ 142 InsO Bargeschäft
Eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, ist nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 gegeben sind.
§ 133 Vorsätzliche Benachteiligung
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
(2) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.
Wie Arbeitnehmer mit Forderungen des Insolvenzverwalters umgehen sollten
Während unter der alten Konkursordnung die ausbezahlten Gehälter vor einer Insolvenz besonders geschützt waren, ist dies seit 1999 nicht mehr so. Seitdem werden Arbeitnehmer wie normale Gläubiger (bspw. Lieferanten) behandelt und stehen sich wie diese dem Risiko einer Rückforderung gegenüber. Wird eine solche vom Insolvenzverwalter in Form der Insolvenzanfechtung ausgesprochen, sollten sich Betroffene umgehend mit ihrem Betriebsrat bzw. einem Rechtsanwalt in Verbindung setzen. Die Gerichte sind nämlich nicht mehr so leicht davon zu überzeugen, dass die Rückforderungen rechtens sind.
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