Rechtswidriger Ein-Euro-Job: Hartz IV-Empfänger hat Anspruch auf Wertersatz
Jobcenter muss Hartz IV-Empfänger nach rechtswidrigem Ein-Euro-Job entschädigen
Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Rechte von Hartz IV-Empfängern, die einen Ein-Euro-Job ausführen, gestärkt. Danach können Hartz IV-Empfänger, denen rechtswidrig ein Ein-Euro-Job zugewiesen wurde, künftig den vollen Lohn vom Leistungsträger verlangen.
Der Fall aus der Praxis
Die Klägerin, eine Hartz-IV-Empfängerin, wurde 2005 von ihrem Jobcenter zu einem Ein-Euro-Job bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) aufgefordert. Sie arbeitete ein halbes Jahr lang 20 Stunden pro Woche als Reinigungskraft und erhielt dafür zusätzlich zu ihren Hartz-IV-Leistungen eine Mehraufwandsentschädigung in Höhe von 2,00 € pro Stunde. Damit gab sich die Klägerin jedoch nicht zufrieden. Sie argumentierte, dass sie schließlich genauso wie die festangestellten Reinigungskräfte putze und forderte deshalb für ihre Putztätigkeit die Zahlung des Tariflohns in Höhe von 9,76 € pro Stunde.
Laut Gesetz müssten Ein-Euro-Jobs „zusätzlich“ und im öffentlichen Interesse sein, d .h. mit ihnen dürften keine regulären sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen ersetzt werden. Genau diese Anforderungen seien mit dem Ein-Euro-Job als Reinigungskraft aber nicht erfüllt gewesen, meinte die Klägerin. Die AWO entgegnete, dass mit dem Einsatz von Ein-Euro-Jobbern keine einzige Stelle abgebaut worden sei. Außerdem gebe es zwischen ihr und der Klägerin gar kein Arbeitsverhältnis.
Eine Klage der Klägerin gegen die AWO vor den Arbeitsgerichten auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses hatte keinen Erfolg. Die weitere, auf Zahlung von Arbeitslohn gerichtete Klage verwies das Arbeitsgericht an das Sozialgericht. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg.
Das sagt das Gericht
Die Bundesrichter haben das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Die AWO sei lediglich "Verwaltungshelfer" des Jobcenters gewesen. Das Jobcenter sei allein für die Eingliederungsleistungen verantwortlich. Vermittle die Behörde einen rechtswidrigen Ein-Euro-Job, müsse sie folglich an den Hartz-IV-Empfänger Ersatz für die geleistete Arbeit zahlen. Ob im Streitfall der Ein-Euro-Job der Klägerin tatsächlich "zusätzliche" Arbeiten umfasste habe, die reguläre Reinigungskräfte nicht ausübten, sei vom Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nicht festgestellt worden (BSG, Urteil vom 27.08.2011, Az.: B 4 AS 1/10 R).
Jobcenter sind für rechtswidrigen Ein-Euro-Job für Hartz-IV-Empfänger verantwortlich
Im Klartext bedeutet die Entscheidung des BSG, dass die Jobcenter zur Verantwortung gezogen werden können, falls sie Alg II-Beziehern einen rechtswidrigen Ein-Euro-Job zuweisen. In allen Fällen, in denen die Ein-Euro-Jobs „normale“ Beschäftigungsverhältnisse verdrängen, sind die Jobcenter zur Zahlung des üblichen Tariflohns an die Hartz-IV-Empfänger mit Ein-Euro-Job verpflichtet.
Ein-Euro-Jobs sollen Hartz-IV-Empfänger an Ersten Arbeitsmarkt heranführen
Der sogenannte Ein-Euro-Job ist in § 16d Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) definiert als Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (s. u.). Mit Arbeitsgelegenheit ist eine zusätzliche und im öffentlichen Interesse stehende Tätigkeit für Empfänger von Arbeitslosengeld II (Alg II) gemeint. Die Ein-Euro-Jobs sollen Langzeitarbeitslose wieder an den Ersten Arbeitsmarkt heranführen. Zusätzlich zum Alg II wird eine Mehraufwandsentschädigung gezahlt. Sie soll dem Hartz-IV-Empfänger die durch Ausübung der Arbeitsgelegenheit zusätzlich entstehenden Aufwendungen ersetzen, weil sie in der Regelleistung nicht berücksichtigt sind. Der Mehraufwand wird mit Beträgen zwischen 1,00 € und 2,50 € pro Stunde entschädigt.
Wichtiger Hinweis
Ein Ein-Euro-Job begründet kein reguläres Arbeitsverhältnis, auch dann nicht, wenn die Heranziehung zu den Arbeiten rechtswidrig war. Die Mehraufwandsentschädigung stellt deshalb kein Arbeitsentgelt dar.
Hartz IV-Empfänger mit Ein-Euro-Job ist nicht arbeitslos
Kritiker behaupten, dass die Ein-Euro-Jobs nur geschaffen worden, um die Arbeitslosenstatistik zu schönen. Denn Ein-Euro-Jobber gelten nicht als arbeitslos und werden somit zahlenmäßig nicht in der Arbeitslosenstatistik ausgewiesen.
Das sagt das Gesetz
§ 16d Arbeitsgelegenheiten
Für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die keine Arbeit finden können, sollen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Werden Gelegenheiten für im öffentlichen Interesse liegende, zusätzliche Arbeiten gefördert, ist den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zuzüglich zum Arbeitslosengeld II eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu zahlen; diese Arbeiten begründen kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts; die Vorschriften über den Arbeitsschutz und das Bundesurlaubsgesetz mit Ausnahme der Regelungen über das Urlaubsentgelt sind entsprechend anzuwenden; für Schäden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit haften erwerbsfähige Leistungsberechtigte nur wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
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