Wer war eigentlich EIGENTLICH?
08.12.2015 – Führung auf dem weltberühmten Münchner Westfriedhof.
Eine kleine Gruppe fein gekleideter Menschen spazierte durch die Reihen des Münchner Westfriedhofs und bestaunte die Gräber von Soraya, Robert Lemke und Hanns Seidel. Einige verweilten ehrfürchtig vor den Schauspielergräbern von Tilli Breidenbach, Maxl Graf und Michael Hinz. In der dritten Reihe beim vierten Grab von links erzählte Viktor, der Friedhofswächter, die Geschichte von dem hier begrabenen JA, ABER, das angeblich mehrfach wiederauferstanden war und den Menschen nicht nur zur Geisterstunde das Leben schwer machte. Keiner hätte es wirklich gesehen und doch hörten es alle immer und immer wieder. „Sehr gruselig, niemand ist vor diesem Quälgeist sicher“, erzählte Viktor und gleichzeitig fuhr ein scharfer, kalter Wind unter die dicken Mäntel der Anwesenden.
Lisa, ein 7-jähriges Mädchen, zerrte an der Hand ihrer Mutter und zeigte auf ein sehr verwittertes Grab gleich rechts neben JA, ABER.
© Claudia Kimich
„Mama, Mama, wer liegt denn da?“ fragte Lisa aufgeregt. Völlig eingewachsen war der Grabstein kaum zu erkennen, geschweige denn welche Aufschrift er trug. Dennoch brannte eine Kerze auf dem Stein. Die Mutter gab die Frage an Viktor weiter und der kratzte sich nachdenklich am Kopf… Lisa zog wieder an der Hand ihrer Mutter und piepste. „Mag den niemand oder warum sieht das so unaufgeräumt aus? Und wer hat die Kerze dahin gestellt, der hätte doch sauber machen können.“ Viktor dachte laut nach: „Wer liegt EIGENTLICH in diesem Grab? Seit wann gibt es das EIGENTLICH? Wieso fällt mir das EIGENTLICH nicht ein?“ und rieb sich die kalte Nase.
Lisa schob den Efeu auf die Seite und wischte auf dem Grabstein herum. „E-I-G“ buchstabierte sie und „T-L-C-H“ las sie weiter vor. Da schlug sich Viktor vor die Stirn und stöhnte: “Jetzt fällt es mir wieder ein, das war EIGENTLICH eine sehr seltsame Geschichte.“ Gespannt wandte sich ihm der Rest der kleinen Gruppe zu.
„Ja, jetzt erinnere ich mich. Am 19.09.1999 kamen zwei ganz komische Vögel auf den Friedhof. Sie trugen sowas wie eine große Teppichrolle unter dem Arm und stellten sich als Herr Klartext und Frau Tacheles vor. Sie suchten ein Grab für ihren Cousin EIGENTLICH, das EIGENTLICH schon existieren sollte, sie es allerdings nicht finden könnten. Ich schaute in meinen Akten nach und sagte ihnen, dass sie in der dritten Reihe beim fünften Grab von links fündig werden würden.
Danach gingen sie mit ihrer Fracht. Ich rief ihnen noch nach, dass sie erst einen Beerdigungstermin vereinbaren müssten, doch da waren die beiden schon ums Eck verschwunden. Am nächsten Tag war das besagte Grab neu aufgeschüttet und ein Grabstein mit folgendem Schriftzug stand darauf: „Hier ruht EIGENTLICH, das nie wirklich existiert oder einen Sinn hatte.“ Ich verständigte die Polizei, schließlich kann nicht jeder einfach so jemanden begraben! Herr Klartext und Frau Tacheles wurden herbeordert und stritten vehement ab, dass sie etwas damit zu tun haben könnten.
EIGENTLICH ist da gar niemand im Grab, da es EIGENTLICH, ja gar nie sinnvoll gegeben hat.“ Das Grab wurde geöffnet und siehe da: EIGENTLICH war gar nix drin. Frau Tacheles und Herr Klartext zogen mit zufriedenen Gesichtern ab, rieben sich die Hände und brummten: „Haben wir doch gleich gesagt, damit ist die Sache hoffentlich endlich ein für alle Mal erledigt!“ Bis heute weiß keiner, was damals mit Cousin EIGENTLICH passiert oder ob es ihn jemals gab.
„Und warum brennt dann da ein Kerze?“ krähte Lisa hinter dem Rücken ihrer Mutter hervor. „Ja“ sagte Viktor nachdenklich, „Weißt Du, manche Menschen können EIGENTLICH nicht vergessen und nicht ertragen, dass sie sich EIGENTLICH möglicherweise nur eingebildet haben. Deswegen glauben sie, wenn da eine Kerze brennt, dann hat EIGENTLICH wenigstens einmal einen Sinn."
EIGENTLICH oder wer auch immer unter diesem Grabstein liegt, möge in Frieden ruhen.
Die Moral von der Geschicht‘: Steh’ zu dem was du sagst, denn EIGENTLICH braucht es im Sprachgebrauch nicht!
Sachdienlicher Hinweis: EIGENTLICH gehört zu den Unwörtern, die eine Aussage verwässern und uns damit ein Hintertürchen aufmachen, durch das wir sprachlich verschwinden können, wenn’s eng wird. Weil EIGENTLICH haben wir es ja gar nicht so gemeint ;-) Lassen Sie es weg!
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Viel Glück beim Mitmachen
wünscht Ihnen
Ihre Claudia Kimich
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Kommentare
Danke
Das freit mich, sehr, dass ich Ihnen offenleslich aus der Seele geschrieben habe.
Gutes weiteres Umsetzen
Hallo Conny,
na dann ... Tipp des Tages täglich umsetzen, dann klappts auch mit dem EIGENTLICH, ääääh, ich meine ohne daselbe!
Viele Spaß
Claudia Kimich
Neues ausprobieren
Ja, das ist wohl war. Die Füll- und Verlegenheitswörter nehmen dem Gesagten oft die Kraft. Ich hab's selbst ausprobiert und schon in Gedanken solche verwässernden Wörter weggelassen - auch wenn ich es nicht immer schaffe, das Bewusstsein verändert sich dadurch enorm!
Eigentlich ist Eigentlich
Ein Text wie der Ihre hat eigentlich schon lange gefehlt. Eigentlich ist es sehr schade, wenn sich das Wort eigentlich in die Dialektsprache eingenistet hat. So ist es eigentlich sehr schwer das Wort eigentlich zu vergessen, oder gar aus dem Dialekt-Wortschatz zu streichen.
eigentlich
Was mir zum Thema EIGENTLICH einfällt:
So ganz spontan hab' ich eigentlich nix zu ergänzen ;-)
Hervorragender Beitrag und so nett verpackt! Danke, die Geschichte hat mir EIGENTLICH wirklich richtig gut gefallen. - Adventliche Grüße