Storytelling: Die Macht, die gute Geschichten haben
Im Gegensatz zu Abstraktem und Zahlengemenge erzeugen überraschende, mitreißende, unterhaltsame Geschichten eine hohe neuronale Aktivität - und damit eine höhere Aktionsbereitschaft. Sie helfen beim Überzeugen - und besonders auch beim Verkaufen.
Menschen lieben es, ihre Geschichten mit anderen Menschen zu teilen. Mithilfe der vielen sozialen Netzwerke geht das in heutigen Zeiten leichter als jemals zuvor. Vor allem dann, wenn wir emotional berührt werden, erzählen wir gern - und geben Erzähltes gern weiter. Social Sharing nennt man das in der Sprache des Web. Dabei gilt: je emotionaler, desto viraler.
Emotionales hat für unser Oberstübchen einen enorm hohen Stellenwert. „Facts tell, storys sell“, heißt es auch. Fakten berichten dem Kopf, Geschichten verzaubern das Herz. Und sie machen spendabel. Dies passiert vor allem dann, wenn gut erzählte Geschichten ins Spiel gebracht werden. So kann ein Anbieter plötzlich wie aus dem Nichts in aller Munde sein.
Gute Geschichten können Blockaden in Luft aufzulösen
Machen wir einen Sprung in das Jahr 1493. Christoph Kolumbus ist von seiner ersten Reise nach Amerika zurückgekehrt. Man feiert ihn, einen der ganz großen Abenteurer der Weltgeschichte. Während eines feuchtfröhlichen Festmahls im Palast von Kardinal Mendoza erlaubt sich einer der geladenen Gäste die Bemerkung, es sei doch wohl ein Leichtes gewesen, die Neue Welt zu entdecken. Kolumbus, in seiner Seefahrerehre gekränkt, verlangt nach einem gekochten Ei.
Er bittet die Anwesenden, es so auf die Spitze zu stellen, dass es nicht umfällt. Alle versuchen es. Doch niemand schafft es. Unlösbar, glaubt jeder. Schließlich wird Kolumbus gebeten, es selbst zu versuchen. Er schlägt das Ei mit der Spitze leicht auf den Tisch, so dass es stehen bleibt. Lautstarker Protest: So hätte das jeder geschafft. Darauf Kolumbus: „Der Unterschied ist, meine Herren, dass Sie es hätten tun können, ich hingegen habe es getan!“
Ja, gut gewählte Geschichten haben die magische Kraft, Aha-Momente heraufzubeschwören und Blockaden in Luft aufzulösen. Plakativ können sie zeigen, wie verblüffend einfach eine Lösung aussehen kann und welchen Mehrwert sie bringt. Sie können die Hoffnung auf eine bessere Zukunft schüren, Ängste in Mut verwandeln und erste Schritte ins Neuland ebnen.
Erfolgsstorys beflügeln und setzen eine Menge Energie frei
Seitdem es Lagerfeuer gibt, lieben die Menschen Geschichten. Sie dienen auch dazu, nach einem Anfangserfolg für weiteres Engagement zu werben, um es ein zweites, drittes, viertes Mal krachen zu lassen. Erfolgsstorys spornen uns an, sie beflügeln und setzen eine Menge Energie frei. Sie werden gut behalten und gerne weitererzählt – drinnen im Unternehmen und natürlich auch draußen.
Geschichten übersetzen Informationen in Emotion. Sie erhöhen die Glaubwürdigkeit, weil sie einprägsamer sind als Zahlen, Daten und Fakten. Sie beflügeln das Vorstellungsvermögen. Sie machen neugierig und fesseln die Aufmerksamkeit. Sie lockern auf und entspannen. Sie vereinfachen komplizierte Zusammenhänge. Sie fördern das Zuhören, das Verstehen und das Zustimmen, ohne zu bedrängen.
So lassen sich Menschen lieber durch Geschichten verführen als durch sachliche Darstellungen und nüchterne Fakten. Der US-amerikanische Wissenschaftler und Nobelpreisträger Daniel Kahneman wies sogar nach, dass nicht derjenige die Deutungshoheit erlangt, der die besten Argumente zusammenträgt, sondern derjenige, der die stimmigste Story erzählt.
Wo Kreativität fließen darf, entstehen automatisch Geschichten
In Schweden hat VW unter der Überschrift „The fun theory“ vor einiger Zeit eine Aktionssammlung gestartet, bei der die Menschen durch Spaß zu einer positiven Verhaltensänderung gebracht werden sollen. In einem Fall wurden die Stufen einer U-Bahn-Treppe zu einem Piano umfunktioniert. Kontakte erzeugten Töne, wenn man darauf trat. So erklang eine Melodie, während man die Stufen rauf- oder runterging. Zwei Drittel mehr Menschen benutzten diese Treppe statt der Rolltreppe daneben.
Geschichten, Beispiele, Anekdoten und Analogien gehören fest in ein gutes Kommunikationsrepertoire, weil das die Überzeugungsarbeit sehr stark vereinfacht. Weltbewegendes ist passiert, weil es jemanden gab, der die Sehnsucht nach etwas ganz Großem wecken konnte. So wurde das Wettrennen um den ersten Schritt auf dem Mond nicht durch Fakten, sondern durch eine Frage entschieden, die Wernher von Braun an John F. Kennedy gestellt haben soll: „Wollen Sie, dass die Russen die Ersten sind?“
Dort, wo die Kreativität in Freiräumen fließen darf, können automatisch Geschichten entstehen: bezaubernde Geschichten, skurrile Geschichten, lehrreiche Geschichten. So kann man aus einem ständig wachsenden Fundus schöpfen, den es zu hegen, zu pflegen und weiterzutragen gilt. Mitarbeiter:innen und Kunden, die ihren Einfluss als Influencer ausspielen, sind dabei besonders wertvoll.
So wird’s spannend: Der Erzählverlauf folgt einer Heldenreise
Gute Geschichten sind im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdig, sie sind niemals ego-lastig, sie sind überprüfbar und vor allem nachweislich wahr. Idealerweise folgt der Erzählstrang einer sogenannten Heldenreise. Diese führt entlang eines Spannungsbogens von einer suboptimalen Ausgangslage über Hindernisse und Blockaden, Irrungen, Wirrungen und Gefahren zu einem glorreichen Ende.
Unternehmen, Produkte und Mitarbeitende fungieren dabei als Helfershelfer, als treue Gefährten oder nützliche Geister, die zwar im Hintergrund bleiben, ohne die die Transformation allerdings nicht gelingt. Wie in einem guten Film zieht sich der Konflikt hin. Die Lösung kommt dann plötzlich und schnell. Und wir hören oder schauen wie gebannt zu, weil wir unbedingt wissen wollen, wie eine Story ausgeht.
Beim Aufbau kann man sich an Märchen orientieren. Sie haben folgendes Muster:
- Was war am Anfang (= das Problem, der Zweifel)?
- Wer (= der Held) tat was (= die gute Tat) mit wessen Hilfe (= die gute Fee)?
- Wo lauerten Gefahren (= das Abenteuer, das Hindernis, der Gegenspieler)?
- Wie ging das Ganze aus (= der Sieg, das Happy End)?
Im Wesentlichen geht es darum, eine Veränderung mitzuerleben, die in eine bessere Zukunft führt. Wir tauchen ein in die Geschichte, fiebern mit, durchleben die Selbstzweifel des Helden, hoffen und bangen – und sind am Ende erleichtert, wenn er tatsächlich siegt. Bisweilen lernen wir dabei sogar etwas für uns selbst.
Das Buch zum Thema:
Touch. Point. Sieg.: Kommunikation in Zeiten der digitalen Transformation von Anne M. Schüller.
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