Auch Kirchenangestellte dürfen streiken
Das kirchliche Arbeitsrecht sieht kein Streikrecht für die Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen vor. Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm widerspricht ein solches generelles Streikverbot jedoch dem grundgesetzlich garantierten Streikrecht.
Der Fall aus der Praxis
Die Gewerkschaft ver.di hatte 2008 den Verband der Diakonischen Dienstgeber erfolglos zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Daraufhin rief die Gewerkschaft die Mitarbeiter diakonischer Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen zu Aktionen und Warnstreiks auf. Im Mai 2009 veranstaltete die Gewerkschaft eine Streik- und Aktionswoche. Die Evangelische Kirche Westfalen, die Diakonischen Werke und weitere Einrichtungen stellten beim Arbeitsgericht (ArbG) Bielefeld den Antrag, die Gewerkschaft ver.di zu verpflichten, Streikmaßnahmen zu unterlassen. Das ArbG Bielefeld gab dem Antrag statt. Die Gewerkschaft ging in Berufung.
Das sagt der Richter
Mit Erfolg. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat entschieden, dass auch in kirchlichen Einrichtungen gewerkschaftlich organisierte Streikmaßnahmen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind. Bei der Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und dem nach Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) garantierten Streikrecht sei zu berücksichtigen, dass in kirchlichen Einrichtungen auch Mitarbeiter beschäftigt sind, deren Tätigkeit nicht zum in christlicher Überzeugung geleisteten "Dienst am Nächsten" zählen. Äußerlich erkennbar sei dies daran, dass bestimmte Aufgabenbereiche mit Hilfsfunktionen (z. B. Reinigungsdienst, Krankenhausküche) ausgegliedert und nicht auf kirchliche Einrichtungen übertragen werden könnten. Deshalb sei ein Ausschluss des Streikrechts in kirchlichen Einrichtungen unverhältnismäßig. Der Ausschluss des Streikrechts lasse sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass in kirchlichen Einrichtungen der „Dritte Weg“ beschritten wird. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Beschlüsse der "Arbeitsrechtlichen Kommission" stelle kein gleichwertiges System zur Regelung der Arbeitsbedingungen nach § 9 Abs. 3 GG dar. Da die Arbeitnehmervertreter der "Arbeitsrechtlichen Kommission“ im kirchlichen Dienst tätig sein müssen, können hauptamtliche Gewerkschaftsvertreter keinen maßgeblichen Einfluss ausüben (LAG Hamm, Urteil vom 13.01.2011, Az.: 8 Sa 788/10).
Das bedeutet die Entscheidung
Welche Einschränkungen des Streikrechts aus dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen folgen und wie der "Dritte Weg" auszugestalten ist, um eine Gleichwertigkeit der Gestaltung der Arbeitsbedingungen annehmen zu können, hat das Gericht nicht entschieden. Wer nun konkret in kirchlichen Einrichtungen streiken darf und ob gegebenenfalls der "Dritte Weg" tarifgleich ausgestaltet werden kann, wird alsbald höchstrichterlich entschieden werden, denn das LAG hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Kirchen beschreiten Sonderweg
Die arbeitsrechtlichen Regelungen für die Mitarbeiter in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen unterscheiden sich erheblich von den für sonstige Arbeitnehmer anwendbaren Bestimmungen. Denn die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, dazu zählen in erster Linie die großen Kirchen, regeln ihre Dienstverfassung selbst, sogenannter Dritter Weg.
Wichtiger Hinweis
Als Dritter Weg wird die einvernehmliche Gestaltung der Arbeitsvertragsrichtlinien und der Vergütung in paritätisch besetzten Kommissionen bezeichnet. Er findet seine Grundlage und Legitimation im verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, Art. 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (kirchliches Selbstbestimmungsrecht). Die Anwendbarkeit des Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetzes ist ausdrücklich ausgeschlossen.
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