Arbeitgeber kann Weihnachtsgeld wegen betrieblicher Übung nicht streichen
Betriebliche Übung verhindert einseitige Streichung von Weihnachtsgeld
Bezahlt ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern in drei aufeinanderfolgenden Jahren vorbehaltlos Weihnachtsgeld, so entsteht aufgrund der dadurch begründeten betrieblichen Übung ein Anspruch auf die Gratifikation, den der Arbeitgeber nicht mehr einseitig beseitigen kann. Das hat das Arbeitsgericht (ArbG) Bonn entschieden und somit der Zahlungsklage eines Arbeitnehmers stattgegeben (Az.: 5 Sa 604/10).
Der Fall aus der Praxis
Ein Arbeitnehmer ist seit 1963 in einem Unternehmen beschäftigt. Der Arbeitgeber zahlte dem Mitarbeiter von 1963 bis 2008 jeweils ein Weihnachtsgeld. Er erhielt die Weihnachtsgratifikation zusammen mit der Novemberabrechnung eines jeden Jahres. Seit 2005 war der Gehaltsabrechnung jeweils ein Schreiben des Arbeitgebers beigefügt, das die Freiwilligkeit der Leistung betonte. 2009 zahlte der Arbeitgeber unter Hinweis auf die wirtschaftliche Situation des Betriebes kein Weihnachtsgeld. Durch entsprechende Mitteilung am Schwarzen Brett hatte der Arbeitgeber die Belegschaft darüber informiert. Der Arbeitnehmer vertrat die Ansicht, dass er einen Anspruch auf Weihnachtsgeld für das Jahr 2009 hat und verklagte deshalb den Arbeitgeber auf Zahlung.
Das sagt das Gericht
Die Zahlungsklage hatte Erfolg. Nach Meinung des Gerichts hat der Mitarbeiter einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zahlung von Weihnachtsgeld für 2009 aufgrund betrieblicher Übung. Wegen der vorbehaltlosen Zahlung von Weihnachtsgeld in den Jahren 1963 bis 2004 sei der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung vertraglich zur Zahlung von Weihnachtsgeld verpflichtet. Denn der Arbeitgeber habe das Weihnachtsgeld vorbehaltlos über weit mehr als drei Jahre durchgehend an den Mitarbeiter gezahlt. Dem stehe nicht entgegen, dass das Weihnachtsgeld jeweils in unterschiedlicher Höhe ausgezahlt worden sei. Die betriebliche Übung sei auch nicht durch die seit 2005 erfolgte Zahlung unter Vorbehalt beendet worden. Die Annahme, durch eine dreimalige widerspruchslose Entgegennahme einer vom Arbeitgeber unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit gezahlten Gratifikation werde die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gratifikationszahlung beendet, sei mit dem Klauselverbot für fingierte Erklärungen aus § 308 Nr. 5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht zu vereinbaren (LAG Mainz, Urteil vom 07.04.2011, Az.: 5 Sa 604/10).
Weihnachtsgeld und andere Gratifikationen basieren oft auf betrieblicher Übung
Die betriebliche Übung ist gesetzlich nicht geregelt, ist aber gewohnheitsrechtlich anerkannt. Das Rechtsinstitut wird zum einen mit dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer begründet. Zum anderen wird das wiederholte gleichartige Handeln des Arbeitgebers als ein Angebot auf Änderung des Arbeitsvertrages angesehen, welches der Mitarbeiter durch das widerspruchslose Weiterarbeiten akzeptiert.
Gegenstand einer betrieblichen Übung kann grundsätzlich alles sein, was auch Gegenstand eines Arbeitsvertrages sein kann. Die in der Praxis häufigsten Anwendungsfälle sind:
- Weihnachtsgeld
- Urlaubsgeld
- Prämien
- Gratifikationen
- Fahrtkostenzuschüsse
- Regelungen zur Urlaubsanmeldung
- Regelungen zur Urlaubsgewährung
- Regelungen zur Krankmeldung oder
- Pausenregelungen
Wichtiger Hinweis
Die betriebliche Übung begründet einen Anspruch des Arbeitnehmers auf die Leistung, wenn der Arbeitgeber mehrmals vorbehaltlos eine Leistung gewährt hat. Wie oft der Arbeitgeber die Leistung vorbehaltlos gleichförmig wiederholen muss, damit sie als betriebliche Übung angesehen werden kann, ist nicht einheitlich bestimmt. In der Regel wird ein dreimaliges, gleichförmiges Verhalten des Arbeitgebers als bindend angesehen. Zahlt der Arbeitgeber also über drei Jahre hinweg ohne Freiwilligkeitsvorbehalt (siehe unten) Weihnachtsgeld an seine Mitarbeiter aus, so haben die Arbeitnehmer auch in den folgenden Jahren einen Anspruch auf die Gratifikation. Die mehrmalige Zahlung eines unterschiedlich hohen Weihnachtsgeldes erfüllt im Übrigen nicht die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung, weil in einem solchen Fall kein schützenswertes Vertrauen geschaffen wurde.
Praxis-Tipp
Um der Bindungswirkung einer betrieblichen Übung zu entgehen, kann sich der Arbeitgeber die Freiwilligkeit der Leistung ausdrücklich vorbehalten, sogenannter Freiwilligkeitsvorbehalt
Arbeitgeber kann betriebliche Übung nicht einseitig beseitigen
Die betriebliche Übung wird zum Bestandteil des Arbeitsvertrages und kann aus diesem Grund nicht durch einseitigen Widerruf des Arbeitgebers bzw. im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers beseitigt werden. Erforderlich ist vielmehr eine einvernehmliche Änderung oder eine Änderungskündigung.
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