Ehebruch ist kein Entlassungsgrund
Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) darf die Katholische Kirche einen von seiner Frau getrennt und mit einer neuen Partnerin zusammen lebenden Angestellten nicht ohne weiteres wegen des Vorwurfs des Ehebruchs kündigen.
Der Fall aus der Praxis
Ein bei einer Pfarrgemeinde als Organist und Chorleiter beschäftigter Arbeitnehmer hatte sich 1994 von seiner Ehefrau getrennt. Von 1995 an lebte er mit seiner neuen Partnerin zusammen. Nachdem seine Kinder im Kindergarten davon gesprochen hatten, dass er wieder Vater werden würde, führte der Dekan der Gemeinde im Juli 1997 zunächst ein Gespräch mit dem Organisten. Wenige Tage später kündigte die Gemeinde das Arbeitsverhältnis, weil er gegen die Grundordnung der Katholischen Kirche für den kirchlichen Dienst im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse verstoßen habe. Indem er außerhalb der von ihm geschlossenen Ehe mit einer anderen Frau zusammenlebte, die von ihm ein Kind erwartete, habe er nicht nur Ehebruch begangen, sondern sich auch der Bigamie schuldig gemacht. Der Angestellte klagte vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Essen erfolgreich gegen seine Kündigung. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf bestätigte das Urteil. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hob das Urteil jedoch auf und verwies den Fall zurück. Nach Auffassung der Bundesrichter hätte das LAG den Dekan der Gemeinde anhören müssen, um festzustellen, ob dieser in einem persönlichen Gespräch versucht hatte, den Organisten zur Beendigung seines außerehelichen Verhältnisses zu bewegen. Nach der Zurückverweisung wies das LAG die Klage mit der Begründung ab, dass der Dekan angesichts der Entschlossenheit des Angestellten, seine neue Beziehung aufrechtzuerhalten, berechtigterweise habe annehmen können, dass eine Abmahnung überflüssig sei. Nach Auffassung des Gerichts habe die Gemeinde den Angestellten nicht ohne den Verlust jeglicher Glaubwürdigkeit weiter beschäftigen können, da seine Tätigkeit in enger Verbindung mit der kirchlichen Mission gestanden habe. Die Revision zum BAG blieb erfolglos. Im Juli 2002 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), die Verfassungsbeschwerde des Organisten nicht zur Entscheidung anzunehmen, sodass ihm nur der Weg zum EGMR blieb.
Das sagt der Richter
Der Gerichtshof erklärte die Kündigung für unwirksam. Insbesondere seien die in Artikel 8 der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) zugrunde gelegten Schutzprinzipien hinsichtlich Privat- und Familienleben von den deutschen Arbeitsgerichten nicht ausreichend berücksichtigt worden. Der Kläger habe sich zwar mit seinem Arbeitsvertrag zur Befolgung der Glaubens- und Sittlichkeitsgrundsätze der katholischen Kirche verpflichtet. Diese Verpflichtung gehe jedoch nicht so weit, dass dies im Falle einer Trennung zur Führung eines enthaltsamen Lebens zwingen könne. Die Stellung des Klägers in der klerikalen Hierarchie sei im Übrigen nicht so herausgehoben, als dass sein Fehlverhalten eine schwerwiegende Pflichtverletzung und damit eine Kündigung rechtfertige. Darüber hinaus verdiene auch der Umstand Bedeutung, dass der Betroffene im Falle einer Kündigung auf dem Arbeitsmarkt kaum mehr eine Chance auf eine Wiederbeschäftigung habe (EGMR, Urteil vom 23.09.2010, Az.: 1620/03).
Das bedeutet die Entscheidung
Die Entscheidung des EGMR zeigt, dass die zugrundeliegende Fallgestaltung umfangreiche rechtliche Fragen aufwirft. Ganz so einfach dürfte es für die Katholische Kirche nicht (mehr) sein, einem Angestellten wegen eines nicht glaubenskonformen Verhaltens zu kündigen. Das Urteil des EGMR hat wegweisenden Charakter und wird wohl zu einer teilweisen Neuausrichtung der nationalen Rechtsprechung führen. Bisher galt die Kündigung eines Arbeitnehmers in einem Tendenzbetrieb wegen Ehebruchs als gerechtfertigt, weil auch das Grundgesetz die Ehe schützt und sich die Mitarbeiter an das jeweilige Glaubensbekenntnis des Betriebs zu halten haben, sofern dieses im Einklang mit dem Grundgesetz steht. Auch wenn die Entscheidung des EGMR – anders als Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) – keine unmittelbare Bindungswirkung für die nationalen Gerichte entfaltet, sind diese angehalten, in Zukunft eine stärkere Einzelfallprüfung auch im Hinblick auf die vom EGMR entwickelte Auslegung von Artikel 8 EMRK vorzunehmen. Denn die Rechte der EMRK haben in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes und sind somit auch von den Arbeitsgerichten anzuwenden.
Wichtiger Hinweis
Ein Tendenzbetrieb ist ein Betrieb, mit dem der Unternehmer nicht nur Geld verdienen will, sondern mit dem er ausschließlich bzw. zusätzlich andere Ziele verfolgt (karitative, politische, erzieherische, wissenschaftliche oder künstlerische Ziele).
- Kommentieren
- 6908 Aufrufe