Home Office: Arbeitgeber darf nicht immer Ort der Arbeitsleistung bestimmen
Die Arbeit im Home-Office ist bei vielen Beschäftigten beliebt – meist aus einer Vielzahl von individuellen Gründen. Nicht umsonst war der Aufschrei groß, als die Yahoo-Chefin 2013 ihre gesamten Mitarbeiter zurück an den Arbeitsplatz beorderte. Was im amerikanischen Arbeitsrecht problemlos möglich ist, sehen deutsche Gerichte allerdings ganz anders, wie ein vor kurzem veröffentlichter Fall des Landesarbeitsgerichts Mainz deutlich macht.
Der Fall: Arbeitgeber verlangt von Software-Entwickler Arbeit am Betriebssitz
Ein angestellter Software-Entwickler arbeitete seit dem 01.06.1986 auf der Grundlage mehrerer, zeitlich aufeinanderfolgender Arbeitsverträge als Software-Ingenieur und Servicemitarbeite. In der Zeit vom 16.05.2002 bis 31.12.2012 erfolgte die Beschäftigung auf Grundlage eines Anstellungsvertrages vom 17.09.2002 als Systementwickler. Bis 2009 unterhielt der Arbeitgeber neben ihrem Standort in C-Stadt einen weiteren Standort in L., den sie im August 2009 veräußerte. Bis zu diesem Zeitpunkt war L. der Arbeitsort des Mitarbeiters. Nach dem 01.08.2009 verrichtete der in A-Stadt wohnende Ingenieur seine Arbeit ganz überwiegend zu Hause in seinem Home-Office. Soweit er von zu Hause aus zur Betriebsstätte der Beklagten nach C-Stadt mit seinem Privat-Pkw fuhr, wurden die Fahrzeiten als Arbeitszeit anerkannt – es wurde Kilometergeld gezahlt und Spesen erstattet. 2012 beabsichtigte der Arbeitgeber, die bisherige Projektgruppe, der der Mitarbeiter zugeordnet war, zu verkleinern. Der Mitarbeiter erklärte sich deshalb bereit, in ein anderes Team zu wechseln und unterzeichnete am 07.03.2013 einen diesbezüglichen Anstellungsvertrag. In der Folge kam es zu Unstimmigkeiten über die Frage, ob der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung am Betriebssitz in C-Stadt zu erbringen hat oder berechtigt ist, in seinem Home-Office zu arbeiten. Diesbezüglich fand am 27.08. ein Gespräch statt, in dessen Verlauf dem Ingenieur seitens des Arbeitgebers erklärt wurde, er sei vertraglich zur Leistung am Betriebssitz verpflichtet und nicht mehr berechtigt, die Fahrten zwischen seinem Wohnort und dem Arbeitsort (C-Stadt) als Arbeitszeit zu deklarieren und als Dienstreisen abzurechnen. Am 12.09.2013 erklärte der Ingenieur die Anfechtung seiner Erklärung zum Abschluss des Arbeitsvertrages vom 07.03.2013 wegen Irrtums und Täuschung. In dem darauffolgenden Verfahren vor dem Arbeitsgericht konnte sich der Mitarbeiter nicht durchsetzen, so dass er in Berufung ging.
Das Urteil: Arbeitgeber muss berechtigtes Interesse nachweisen
Die Richter des Landesarbeitsgerichts gaben dem Mitarbeiter Recht. Enthalte ein Arbeitsvertrag wie hier keine ausdrückliche Bestimmung zum Ort der Arbeitsleistung, kann dieser zwar durch das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO (Gewerbeordnung) bestimmt werden (s. u.). Ein Arbeitnehmer darf allerdings nur dann zur Arbeit am Betriebssitz verpflichtet werden, wenn für den Arbeitgeber ein entsprechendes berechtigtes Interesse besteht, dass wiederum nach billigem Ermessen ausgeübt werden muss.
„Billiges Ermessen“
Unter dem Begriff "billiges Ermessen" versteht das deutsche Arbeitsrecht eine Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers mit den Interessen des Beschäftigten.
Hier habe der Arbeitgeber eben nicht darlegen können, aus welchen Gründen eine Arbeit am Betriebssitz ausschließlich erforderlich sei. Ein berechtigtes Interesse ist für die Richter somit nicht feststellbar. Demgegenüber besitzt der Mitarbeiter allerdings ein erhebliches Interesse an der Heimarbeit. Eine Arbeit am 300 Kilometer entfernten Betriebssitz hätte nämlich zur Folge gehabt, dass er entweder umziehen oder eine Zweitwohnung hätte anmieten müssen. Zudem sei der Arbeitgeber nicht berechtigt gewesen, die Fahrten vom Wohnort zum Betriebssitz nicht mehr als Dienstreisen anzurechnen und zu vergüten. Es handele sich hier nämlich um eine seit 2009 bestehende betriebliche Übung, die nicht einfach einseitig aufgekündigt werden könne (LAG Mainz, Urteil vom 17.12.2014; Az.: 4 Sa 404/14).
Unser Tipp
Viele Beschäftigte lesen ihre Arbeitsverträge vor der Unterzeichnung gar nicht durch, da sie das „Kleingedruckte“ abschreckt. Prüfen Sie vorher zumindest die Inhalte anhand eines entsprechenden Arbeitsrechtratgebers und holen Sie ggf. individuellen Rat durch einen qualifizierten Fachanwalt für Arbeitsrecht ein.
Wortlaut des Arbeitsvertrags ist zunächst entscheidend
Üblicherweise ist in den meisten Arbeitsverträgen der Ort der Arbeitsleistung ausdrücklich schriftlich verbindlich festgehalten. Sofern - wie hier - keine vertragliche Vereinbarung zum Arbeitsort getroffen wurde, ist in aller Regel nach § 106 GewO der Sitz des Arbeitgebers der maßgebliche Arbeitsort. Das diesbezügliche Ermessen des Arbeitgebers ist allerdings dann eingeschränkt, wenn eine jahrelang praktizierte Ausnahme ohne sachlichen Grund plötzlich geändert werden soll. Hier besitzt der Arbeitgeber nur die Möglichkeit, eine entsprechende Änderungskündigung auszusprechen – diese kann dann bei Ablehnung des Mitarbeiters vom Arbeitsgericht überprüft werden.
§ 106 GewO Weisungsrecht des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.
- Kommentieren
- 16151 Aufrufe