Betriebsübergang – Bei Dienstleistungsunternehmen sind die Mitarbeiter die wesentlichen Betriebsmittel
Das Thema Betriebsübergang ist ein Dauerbrenner vor deutschen Arbeitsgerichten. Dies ist kein Wunder, schließlich geht es auf der einen Seite um die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer, zu den bisherigen Bedingungen weiterbeschäftigt zu werden. Auf der andern Seite möchte der neue Erwerber die Personalkosten im neuen Unternehmen so niedrig wie möglich halten und ggf. betriebsbedingte Kündigungen vornehmen. Da das Gesetz an das Vorliegen eines sogenannten Betriebsübergang für den neuen Arbeitgeber belastende Rechtsfolgen knüpft, ist die aktuell ergangene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) äusserst wichtig.
Der Fall aus der Praxis
Ein Unternehmen, welches ein Callcenter betrieb, beschloss im August 2006, eine neue Tochtergesellschaft zu gründen. Diese sollte die Dienstleistungen des ursprünglichen Betriebs fortführen, allerdings in erweitertem und komplexerem Umfang. Allen unbefristet angestellten Mitarbeitern wurden neue Arbeitsverträge zu schlechteren Bedingungen angeboten. Die Mehrheit der Arbeitnehmer akzeptierte das Angebot, eine Mitarbeiterin lehnte allerdings ab. Sie war der Meinung, dass Ihr Arbeitsverhältnis würde auf Grund eines Betriebsüberganges fortbestehen würde. Das Unternehmen kündigte ihr fristgerecht im September 2006 mit der Begründung, es liege eine Betriebsschließung vor. Das Arbeitsgericht gab ihrer Kündigungsschutzklage statt, während das LAG die Kündigung wegen angeblicher Stillegung des alten Callcenters für wirksam hielt und einen Betriebsübergang verneinte. Dabei stützte es sich im Wesentlichen auf die Überlegung, dass das neue Callcenter keinen wesentlichen Teil der Belegschaft übernommen habe. Zwar sei eine ausreichend große Zahl von Arbeitnehmern übernommen worden, doch sei dieser Belegschaftsteil nicht zugleich auch hinsichtlich seiner Sachkunde als wesentlich für das Unternehmen anzusehen.
Das sagt der Richter
Die Klage der Frau auf Feststellung des Fortbestehens des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses hatte dann vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) Erfolg. Hier seien die für die Annahme eines Betriebsübergangs notwendigen Voraussetzungen erfüllt. Das Callcenter sei als sogenannter betriebsmittelarmer Betrieb anzusehen, dessen Wertschöpfung in wirtschaftlicher Hinsicht nicht auf sachliche Produktionsmittel ausgerichtet sei, sondern vielmehr auf die Tätigkeit von Menschen. Da die neu gegründete Tochtergesellschaft eine großen Teil des Personals und deren Sachkunde übernahm, lag hier ein Betriebsübergang nach § 613a BGB vor. Dabei spiele es keine Rolle, wenn die Tätigkeitsbereiche der Mitarbeiter im neuen Unternehmen ausgeweitet werden sollten. Dem Erfordernis der Sachkunde sei auch dann Genüge getan, wenn zusätzliche Schulungen zu absolvieren seien, um komplexere Aufgaben bewältigen zu können (BAG, Urteil vom 25.06.2009, 8 AZR 258/08).
Das bedeutet die Entscheidung
Übernehmen Sie einen bestehenden Betrieb, werden die bisher Beschäftigten von diesem Vorgang nach den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts zunächst einmal nicht erfasst. Der Kauf kann die Arbeitsverträge nicht beeinflussen. da die Arbeitnehmer ja schließlich nicht zum Eigentum des Verkäufers gehören. Das Recht an den Betriebsmitteln einerseits und die Mitarbeiter andererseits sind zwei Paar Schuhe. Bei einem Verkauf würde dies ansonsten bedeuten, dass der alte Arbeitgeber nach wie vor Chef der Mitarbeiter wäre, nur dass diese aufgrund der Veräußerung des Betriebs nicht mehr beschäftigt werden könnten. Der bisherige Arbeitgeber könnte demzufolge dazu berechtigt sein, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.
Wichtiger Hinweis
Diese nachteiligen Folgen eines Betriebsüberganges wollte der Gesetzgeber in § 613a Abs.1 Satz 1 des Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verhindern. Dort ist bestimmt, dass der neue Betriebsinhaber in alle Rechte und Pflichten der zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Ein Betriebsübergang führt also zu einem gesetzlich angeordneten automatischen Wechsel des Arbeitgebers, während das Arbeitsverhältnis im Übrigen so, wie es ist, fortbesteht.
Betriebsübergang ist nicht einfach festzustellen
Dies war eine in der Vergangenheit sehr umstrittene Frage, da das Gesetz hier keine klare Antwort bereithält. Während früher auf die Übernahme von wesentlichen sachlichen Betriebsmitteln, also Produktionsanlagen und Büroeinrichtungen abgestellt wurde, ist durch das verstärkte Aufkommen von Dienstleistungsunternehmen, die ja über sehr wenige oder nicht prägnante Betriebsmittel verfügen, ein Wandel eingetreten. Die Rechtsprechung beurteilt deshalb seit Mitte der 90er Jahre die Frage, ob ein "Betrieb" oder "Betriebsteil" im Sinne von § 613a BGB vorliegt, danach, ob es eine "wirtschaftliche Einheit" gibt, d.h. eine organisierte Gesamtheit von Personen und/oder von Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung.
Praxistipp
Bei Dienstleistungsbetrieben übernehmen Sie als Erwerber im Wesentlichen ein bestimmtes „Know How“, gebildet durch die Art der
- Arbeitsorganisation
- Qualitätskontrolle,
- durch Ausbildung und Spezialwissen der Arbeitnehmer sowie
- durch Beziehungen zu Kunden und Auftraggebern.
Entscheidend ist deshalb für einen Betriebsübergang bei Dienstleistungsunternehmen, ob Sie einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft übernehmen. Ist dies der Fall, liegt auch ein für Sie negativer Betriebsübergang vor. Dieser hat zur Folge, dass Sie die bestehenden Arbeitsverhältnisse zu den bisherigen Bedingungen fortführen müssen.
Checkliste zum Download
Welche Kriterien die Arbeitsgerichte sonst noch prüfen, um eine wirtschaftliche Einheit anzunehmen, erfahren Sie in unserer Checkliste: Prüfungspunkte wirtschaftliche Einheit beim Betriebsübergang.
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