Erwerbsminderungsrente abgelehnt – Verweigerte Heilbehandlung vereitelt Rentenanspruch
Kein Rentenanspruch ohne Therapie – Antrag auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt
Das Sozialgericht (SG) Freiburg (Az.: S 6 R 595/10) hat die Klage eines Arbeitnehmers auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt, weil dieser sich geweigert hatte, sich einer zumutbaren Heilbehandlung zu unterziehen
Der Fall aus der Praxis
Ein Arbeitnehmer beantragte im August 2009 Erwerbsminderungsrente. Er begründete den Antrag damit, dass er wegen Bandscheibenproblemen und Atemstillständen während des Schlafs nicht mehr in der Lage sei zu arbeiten. Ärztliche Gutachten kamen zu dem Ergebnis, dass der Kläger sechs Stunden am Tag arbeiten kann. Darüber hinaus waren die Ärzte davon überzeugt, dass noch erfolgversprechende Therapiemöglichkeiten bestehen, die bisher nicht ausgeschöpft sind. So könnte der unter Schlafstörungen leidende Arbeitnehmer z. B. eine Atemmaske über einen längeren Zeitraum zu Hause ausprobieren, weil dann mit einem Gewöhnungseffekt und einer besseren Akzeptanz zu rechnen ist. Diese naheliegende Möglichkeit verweigerte der Arbeitnehmer jedoch.
Die zuständige Behörde verweigerte in der Folge die Anerkennung der Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Arbeitnehmer schließlich Klage beim Sozialgericht (SG).
Das sagt das Gericht
Die Klage hatte keinen Erfolg. Nach Meinung des Gerichts verhindert die Verweigerung einer Heilbehandlung einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente. Denn nach § 63 SGB I soll sich, wer wegen Krankheit oder Behinderung Sozialleistungen beantragt oder erhält, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers einer Heilbehandlung unterziehen, wenn zu erwarten ist, dass sie eine Besserung seines Gesundheitszustands herbeiführen oder eine Verschlechterung verhindern wird.
Komme derjenige, der eine Sozialleistung wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit beantrage dieser Mitwirkungspflicht nicht nach und sei unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass deshalb die Fähigkeit zur selbstständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert werde, könne der Leistungsträger gemäß § 66 Abs. 2 SGB I die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen.
Deshalb habe der Arbeitnehmer im Streitfall keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente (SG Freiburg, Urteil vom 08.06.2011, Az.: S 6 R 595/10).
Keine Erwerbsminderungsrente wegen vorsätzlich verweigerter Heilbehandlung
Die Therapie mit einer Atemmaske ist nach Auffassung der Freiburger Sozialrichter auch unter Berücksichtigung der Grenzen der Mitwirkung nach § 65 SGB I (siehe unten) eine zumutbare Heilbehandlung, die die Erwerbsfähigkeit des Klägers verbessert hätte.
Wenn dieser aber bereits im Vorfeld mitteilt, dass er sich einer solchen Heilbehandlung keinesfalls unterziehen wird, so kann das Gericht keine Erwerbsminderungsrente zusprechen, die von der Verwaltung zu versagen oder zumindest sogleich wieder zu entziehen wäre.
Das sagt das Gesetz
§ 65 Grenzen der Mitwirkung
(1) Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 bestehen nicht, soweit
1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder
2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder
3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann.
(2) Behandlungen und Untersuchungen,
1. bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann,
2. die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder
3. die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten,
können abgelehnt werden.
(3) Angaben, die dem Antragsteller, dem Leistungsberechtigten oder ihnen nahestehende Personen (§ 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozeßordnung) die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, können verweigert werden.
Rentenanspruch setzt Erwerbsunfähigkeit und Erfüllung der Wartezeit voraus
Ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente besteht, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
- Antragsteller(in) ist erwerbsunfähig
- Antragsteller(in) kann in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeitragszeiten nachweisen
- Antragstellerin hat vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt.
Wichtiger Hinweis
Erwerbsunfähig ist, wer aus gesundheitlichen Gründen eine regelmäßige Erwerbstätigkeit nicht mehr ausüben bzw. nur ein geringfügiges Einkommen erzielen kann. Die Grenze des zusätzlichen Verdienstes beträgt 345 €. Überschreitet das Einkommen diese Grenze, kann die Rente grundsätzlich in geringerer Höhe ausgezahlt werden.
Leistungsfähigkeit entscheidet über Grad der Erwerbsminderung
Die Erwerbsminderungsrente wird unter den Voraussetzungen des § 43 SGB VI aus der gesetzlichen Rentenversicherung für Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres bei krankheits- oder behinderungsbedingter Leistungseinbuße gewährt. Es wird dabei zwischen teilweiser Erwerbsminderung (Leistungsfähigkeit von drei bis sechs Stunden) und voller Erwerbsminderung (Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden) unterschieden.
Bei Versicherten, die drei bis unter sechs Stunden arbeiten können, ist zu prüfen, ob ihnen ein konkreter Teilzeitarbeitsplatz angeboten werden kann. Ist dies innerhalb eines Jahres nicht möglich, besteht ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente. Ab sechsstündiger Leistungsfähigkeit besteht kein Rentenanspruch wegen Erwerbsminderung. Der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente können im Übrigen inzwischen auch Selbstständige geltend machen.
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