Wissenstransfer statt Kirchturmdenke
So manchem Zeitgenossen scheint das eigene Dorf, der eigene Kirchturm nur allzu vertraut. In der Politikwissenschaft wird die Kirchturmdenke als eine kurzsichtige, nur die lokalen Interessen befolgende Politik bezeichnet. Alle Auswirkungen werden nur so weit bedacht, wie man den eigenen Kirchturm sehen kann.
Auch im Business agieren manche Unternehmer nach dem Sprichwort: „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.“ Sie bevorzugen, was ihnen bereits vertraut ist.
Dabei zeigen Digitalisierung, Globalisierung und offene Märkte, wie wichtig der Blick über den eigenen Tellerrand ist, um mit seinem Geschäft überhaupt zukunftsfähig zu sein. Drei Beispiele sollen verdeutlichen, wie Wissenstransfer gelingt und welche positiven Auswirkungen der Erfahrungsaustausch für den unternehmerischen Erfolg haben kann.
Von Bienchen, Blümchen und ökologischen Druckverfahren
Die Druckerei Lokay aus dem hessischen Reinheim hat sich seit dem Jahr 2004 sehr intensiv mit umweltgerechten Druckverfahren beschäftigt. Das gesammelte Wissen gibt das Unternehmen an interessierte Druckunternehmen weiter, die sich über den Wandel von einer konventionellen Druckerei hin zum nachhaltigen Anbieter informieren wollen. Darunter auch Firmen aus Südamerika oder Japan.
Prokurist Thomas Fleckenstein erklärt: „Die Welt verbessert man aber nicht als Einzelkämpfer. Darum ist uns der Austausch von Wissen sehr wichtig. Wir sind immer interessiert an guten Gedanken, spannenden Erfahrungen und wegweisenden Entwicklungen. Und wir geben unsere Erfahrungen gerne auf Fachvorträgen, Messen und Branchenevents weiter.“
Dass der persönliche Austausch Früchte trägt, zeigt sich in der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Unternehmens, das vor einigen Wochen einen Online-Shop für umweltfreundliche Druckprodukte eröffnet hat. Nach eigenen Angaben profitiert Lokay selbst wiederum von den Impulsen, die sie aus Gesprächen und Rückmeldungen von Kunden, Marktbegleitern und anderen Anbietern erhalten. Damit sind nicht nur größere Projekte wie der Neubau des Firmengebäudes nach ökologisch nachhaltigen Standards gemeint, sondern auch kleinere Beiträge: Im Druckereigarten leben zwei Bienenvölker mit über 60.000 Bienen und sorgen für Biodiversität im Gewerbegebiet.
Digitale Zeltlager fördern den Austausch
Auch wenn Zelt und Schlafsack überflüssig sind, bei sogenannten Barcamps sollte jeder Teilnehmer etwas Gepäck vorbereiten, um einen möglichst großen Nutzen aus den Veranstaltungen zu ziehen. Die „Unkonferenzen“ sorgen für den Dialog zwischen den Teilnehmern, indem es kein festes Programm gibt, sondern jeweils am Anfang des Tages ein Brainstorming stattfindet, über welche Themen miteinander diskutiert werden soll. Jeder kann einen Vorschlag einbringen, die Favoriten werden dann demokratisch gewählt. So lebt ein Barcamp davon, dass sich jeder mit Beiträgen beteiligt, sein Wissen zur Verfügung stellt und ins Gespräch geht.
Barcamps finden in vielen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz statt, meistens am Wochenende und in vielen Fällen sind sie kostenfrei oder mit sehr günstigem Eintritt verbunden. Eine Liste aktueller Barcamps findet sich hier. Sie lassen sich nach Termin, Region oder Thema filtern, so dass jeder interessante Veranstaltungen finden kann, die den Wissenstransfer ermöglichen. Voraussetzung ist, sich auch selbst aktiv einzubringen, wie Jan Theofel in einem kurzen Video erläutert.
Auf Augenhöhe in die moderne Arbeitswelt
Den Wandel der Arbeitswelt nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich dazu auszutauschen und diesen aktiv mitzugestalten, ist das Ziel der Initiative AUGENHÖHEwege. Hier sind mit einem Film, einer begleitenden Crowdfunding-Kampagne, einem Camp, einer Community und einem Beraternetzwerk vielfältige Angebote für den Austausch und Wissenstransfer entstanden.
„In der heutigen schnellen, komplexen, dynamischen Welt voller Überraschungen geht es darum, Organisationen in diesem Umfeld handlungsfähig zu halten – oder wieder handlungsfähig zu machen. Dazu braucht es andere Denkansätze und Handlungswege als wir es aus dem letzten Jahrhundert gewohnt sind. Es gilt Kunden, Mitarbeiterinnen, Kapitalgeber und die Gesellschaft gleichermaßen im Blick zu haben (…)“, heißt es auf der Website des Netzwerks.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die teilnehmenden Unternehmen ist der Austausch und das Weitergeben der Informationen. Deshalb wird der Augenhöhe-Film auch mit einem Dialog-Angebot kombiniert; seit Veröffentlichung haben ca. 250 Film-und-Dialog-Veranstaltungen stattgefunden: „Tausende haben den Film nicht nur gesehen sondern haben über die Veränderungen der Arbeitswelt miteinander diskutiert und gemeinsam nach Lösungen gesucht, die für sie und ihre Situation passen.“
Ausblick statt Denkblockade
Der unternehmerische Austausch mit Marktbegleitern, die Teilnahme an Barcamps und anderen Veranstaltungsformaten, die Öffnung des Unternehmens und ein Dialog auf Augenhöhe – die genannten Beispiele verdeutlichen, dass Kirchtürme nicht für Denkblockaden stehen müssen, sondern einen neuen, weiteren Ausblick schaffen können. Voraussetzung ist, sich aktiv einzubringen, sich bewusst für eine Öffnung und Beteiligung zu entscheiden. Die Learnings sind wertvoll, die positiven Effekte für den unternehmerischen Erfolg deutlich zu spüren. Alles beginnt mit einem neuen Mindset, dass Wissenstransfer zwischen Unternehmen sinnvoll ist.
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