Deutschland, Du mein Markenland! Über die Zukunft der deutschen Marken
Deutschland ist ein Land der Marken. Unser Gründertum und starke Traditionsmarken waren lange Zeit Garant für wirtschaftliche Stabilität. Das ist vorbei. Warum moderne Markenführung zu selten Antworten für die Zukunft liefert und was Deutschland mit Apple und China gemeinsam hat.
Deutschland, Du mein Markenland
Der Anfang war schwer. Daher begannen vor rund 140 Jahren deutsche Unternehmer, die Produkte erfolgreicher englischer Unternehmen zu kopieren. Dort war die Industrialisierung in vollem Gange und hatte der britischen Wirtschaft große Wettbewerbsvorteile beschert. Das Kopieren ist also weder ein chinesisches Phänomen noch ein Alleinstellungsmerkmal von Apple. Denn auch die Deutschen hatten damit großen Erfolg. Der Siegeszug deutscher Produkte war sogar derart beängstigend, dass sich die Krone zum Handeln gezwungen sah. Um sich vor den "Plagiaten" zu schützen, wurde allen Einfuhrprodukten das Siegel "Made in Germany" gegeben. Damit sollte den Käufern gezeigt werden, dass es sich nur um billige Kopien aus Deutschland handelt.
Vom Ramsch zur Weltmacht
Kopien waren nur der Anfang. Schnell hatte man zur hochentwickelten britischen Industrie aufgeschlossen. Und Produkte aus Deutschland wurden damit so gut, dass sie in alle Welt exportiert werden konnten. Ein lukrativer Rahmen für Neugründungen war geschaffen. Nicht umsonst spricht man retrospektiv von der "Gründerzeit" um 1900. Neben einem politisch gestützten Pioniergeist und erstarktem Gründertum wurde der Aufstieg vieler Marken auch durch die Rüstungsprogramme der beiden Weltkriege begünstigt. Sie brachten ordentlich Umsatz und ermöglichten auch einen klaren Wissensvorsprung durch die Etablierung von F&E. Clevere Inhaber nutzten das.
Selbst der Einschnitt durch desaströse Kriegsniederlagen, Sparsamkeit, Armut, Währungsreformen und Demontagen konnten deutsche Marken nicht schwächen. Ganz im Gegenteil. Viele von ihnen feiern heute mehr als 100-jährige Jubiläen.
Deutschland schafft sich ab. Ideale sind Mangelware
Es brauchte keine Kriege oder wirtschaftliche Krisen für den Niedergang vieler Marken. Vielmehr war zu lange währender Erfolg der Grund dafür. Schnell greifen existenzielle Dramatik und fahrlässiges Entgleiten der Initiative um sich. Jüngstes Beispiel hier: Karstadt. Der Krieg ist ein rein ideeller, genährt durch die Sucht nach Kapital. Mitspracherecht durch Fusionen oder der Aufkauf von Marken sind ein beliebtes Geschäftsmodell geworden. Das ist durchaus lukrativ, da man in der Regel nur noch das Tafelsilber einsammeln muss. Sei es in Form von Patenten, Strukturen oder Markennamen.
Büsumer Krabben aus Thailand
Markennamen sind Gold wert. Investitionen in den Markenaufbau reduzieren sich erheblich. Bei dieser Rechnung geht aber auch viel schief. Büsumer Meeresfrüchte sind ein gutes Beispiel dafür. So gibt es nämlich auch in Thailand gezüchtete Garnelen unter dem Namen Büsumer Fischereiunternehmen. Kunden sprechen dann auch gerne von Verarschung. Mangelnde Identifikation mit den Werten der Marke ist bei Übernahmen ein häufiges Phänomen. Unprofessionelle Handhabe der Markenphilosophie oder gänzlich fehlende Philosophien stehen bei Übernahmen ebenfalls gerne Pate. Wie der Geier, der seine schwächelnde Beute bereits fest im Blick hat.
Marken im Dilemma von Tradition und modernen Herausforderungen
Aber auch Marken ohne Fremdbestimmung verlieren ihren Sinn für Werte und nachhaltigen Unternehmensaufbau. Bekannte Traditionsmarken empfehlen sich wiederkehrend durch langatmige, träge Reaktionen auf Trends und arrogant anmutende Einfältigkeit. Gefördert durch eine destabilisierende Mischung aus Geschäftsführern mit veraltetem Marktwissen oder fehlendem Marken-Know-how in Entscheiderpositionen, haben gerade börsennotierte (oder mit Fremdkapital versorgte) Unternehmen schnell ein Problem. Profit geht vor solidem Geschäftsausbau. Fehlentscheidungen, die daraus resultieren, nutzt der Markt eiskalt aus. Unternehmen sind dann meist schwer angeschlagen. Daraufhin greifen Sparmaßnahmen die Basis weiter an. Als Folge davon drohen der Verlust wertvollen Humankapitals und die Preisgabe von Produktions- oder Vertriebsstätten. Die Markenerosion und ein krachender Zusammenbruch sind dann nur eine Frage der Zeit.
Vom Wohlstand für alle zu satt und träge
Es sind aber nicht nur strategische Entscheidungen, die Marken schaden. Anachronistische Kommunikationsfähigkeiten und ein falsches Verständnis von Wirkung und Werbung im Wandel der Zeit sowie dilettantisches Vorgehen im digitalen Wettbewerb gefährden ebenfalls die Marktanteile. Fehlende Pflege des Markenvertrauens durch stetiges Schwächen des Markenversprechens (z. B. durch schlechte Qualität) zerstört den Markenkern.
Geplante Obsoleszenz als Bilanzpolitur?
Beispiele dafür, wie Versprechen von der Markenführung das Damoklesschwert droht, gibt es viele. So machen renommierte Markenhersteller aus Kleidung systematisch ein schnelllebiges Alltagsgut, das ständig ersetzt werden soll. Kleidung braucht nicht mehr langlebig zu sein. Um dem daraus resultierenden harten und rotierenden Wettbewerb zu begegnen, sehen sämtliche Marken ihre Chance zur Margenverbesserung u. a. darin, die Kleidung immer günstiger herzustellen und den Preis trotzdem hoch zu halten. Und der Kunde bekommt eine löchrige Fassade aus phrasenhaften Versprechungen für eine heile Markenwelt. Wie wär‘s mal mit neuen Ideen?
Ähnliches lässt sich auch bei einigen Autoherstellern beobachten, die unkreativ als Hauptmaßnahme auf strikte Kostenreduktion setzen. Als Folge davon versuchen sie, neben Personalkosteneinsparungen, die Zulieferer stetig im Preis zu drücken, wobei die Qualität natürlich spürbar nachlässt. GM hat mit Millionen Rückrufen kürzlich die Latte wieder hochgehängt. Aber auch, wer sich ein modernes "Markenauto der Premiumklasse" genauer anschaut, weiß, was ich meine. Ein Haufen Plastik, ungenaue Verarbeitung und sich schnell abnutzende Materialien. Dazu auftretende Mängel. Wen wundert es da noch, dass die "Modellpflege" Marketingmasche Nr. 1 ist. Aber es fallen immer weniger Leute darauf rein. Das interessiert die großen Markenführer nicht. Qualität runter, Preis und Versprechen weiterhin hoch. Oder der alte Hut in frischer Farbe. Natürlich zum Neupreis.
Unternehmen vor der schleichenden Selbstzerstörung
Wie schnell das Damoklesschwert zuschlagen kann und der mündige Kunde aufbegehrt, zeigt sich z. B. bei der Greenpeace-Kampagne gegen adidas, dem Aufschrei der IKEA-Gemeinde gegen merkwürdige Zensurmaßnahmen des "IKEA-Hacks Blogs" oder kritischen Stimmen zu Apple. Eins wird scheinbar immer wieder gerne vergessen: Die moderne Gesellschaft ist eng vernetzt, und gerade die Generation Y legt sehr großen Wert auf Nachhaltigkeit, ehrliche Markenversprechen und offene Kommunikation. Das gilt seit geraumer Zeit auch für den Umgang mit Arbeitnehmern. Nicht nur in Deutschland mit seinen 8 Millionen Beschäftigten in prekären Verhältnissen, auch weltweit. Kunden erwarten zunehmend, dass Marken verantwortungsvoll agieren. Diese Erwartungen sind branchenübergreifend, und die Entwicklung ist kein Marsmännchen. An ALLE werden neue Herausforderungen gestellt. Das gilt ganz besonders für klassische Nischen und "Hidden Champions". Der bisherige Erfolg gibt ihnen Recht. Aber das Werkzeug ändert sich. Trotzdem neigt man dazu, die eigene Markenposition zu überschätzen und sich auf der Stammkundschaft auszuruhen. Nicht nur, dass man verlernt, seine Produkte gekonnt zu verkaufen, auch wird die eigene, systematische Markenentwicklung versäumt.
Die neuen Regeln sind keine Marketingerfindung
Wir beobachten die Entwicklungen mit Sorge. Denn Deutschland ist nicht mehr das, was es mal war. Marken, die das nicht erkennen, werden über kurz oder lang Strahlkraft als Arbeitgeber einbüßen. Und Weltmarktanteile. Unser aller Wohlstand steht auf dem Spiel. Reagieren reicht nicht mehr. Moderne Markenführung heißt, neben proaktivem Erkenntnisgewinn und konkreten Handlungsdirektiven vor allem auf transparente Werte, verlässliche Versprechen und eine spürbare Glaubwürdigkeit zu achten. Die einzige Konstante ist der Wandel. Und dieser vollzieht sich immer schneller.
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