G(ib)8! – Mit Malte ist nicht zu spaßen
Ein-/Ansichten aus dem bayerischen Oberstufen-Alltag
Ich glaube, er heißt Malte oder Tom. Aber doch eher Malte. Malte wurde antiautoritär bzw. streng konservativ erzogen und erlebte seine erste Midlife Crisis bereits im Musik-LK bei Herrn R. Heute ist Malte beim bayerischen Staat für unser Schulsystem verantwortlich. Er sitzt den ganzen Tag allein in seinem Büro im Keller, spielt Pennergame und muss dreimal am Tag einige Treppenstufen steigen, um dem Horst im zehnten Stock seinen Kaffee zu servieren. Das einzige, was seine Laune etwas bessern kann, ist: Schülern und auch Lehrern in Bayern das Leben so schwer wie möglich zu machen.
So schrieb er zum Beispiel den Lehrplan für das Sport-Additum. Dieser besagt, dass pro Schuljahr in einem zweistündigen Unterrichtfach ein zweihundertseitiges Buch auswendig gelernt werden muss, das gespickt ist mit biologischen Prozessen, Fachbegriffen und allemdrum und dran. Dementsprechend erfolgreich sind dann auch die jeweiligen Kursteilnehmer. So wird bei nahezu jedem Schüler die praktische Note durch die theoretische verschlechtert und das schriftliche Abitur wählen nur Schüler, die von Vorneherein mit einer schlechten Note planen. Dafür sind wenigstens die Ergebnisse im Kolloquium aber meist ähnlich wie in anderen Fächern. Auch für dieses ist aber ein hoher Lernaufwand erforderlich, ähnlich wie für die Klausuren. Selbst einem Außenstehenden fällt daher schnell auf, wann mal wieder eine Sportklausur ansteht. In dieser Zeit vermisst man nämlich oft den einen oder anderen Mitschüler in für die weitere Ausbildung immens wichtigen Stunden oder trifft sie nur noch mit einem Ordner vor der Nase an.
Um zurück zu Malte zu kommen: Als Malte den Lehrplan für das Sport-Additum schrieb, hatte er einen richtig guten Tag. Einige Tage früher war jedoch seine Katze überfahren worden. An diesem Tag beschloss Malte, das G8 einzuführen. Ein Jahr weniger für alle Gymnasiasten in Bayern – auf den ersten Blick ganz toll für uns! Auf den zweiten allerdings eine absolute Katastrophe! Ein Jahr weniger ist nämlich nicht automatisch ein Jahr weniger. Anstatt die Oberstufe entspannt in drei Jahren zu durchleben, wird jetzt auf die Tube gedrückt. Schnell Strg+A auf den Lehrplan und die Schriftgröße kleiner und schon hat man einen „deutlich verkürzten“ Lehrplan für zwei Jahre. Wie einfach Politik doch sein kann!
Weniger einfach ist es dagegen geworden, als Oberstufler die Schulkarriere mit Hobbys zu verbinden. Hobbys? Das sind Aktivitäten, die Malte nicht kennt, also zum Beispiel Sport, Kunst oder auch Freunde. Trotz eigentlich guter Stundenpläne mit relativ wenigen Freistunden kommt der Q11-ler mindestens dreimal die Woche nach 17 Uhr nach Hause und darf dann anfangen, den nächsten Tag vorzubereiten. Wer also ein halbwegs gutes Abitur schaffen möchte, der hat ein Zeitproblem. Hierzu haben sich zwei verschiedene Lösungsansätze entwickelt: Den der „braven Mädchen“, die Wert auf Schlaf und Erholung legen und dafür am Wochenende lernen, oder den der „harten Jungs“, die sich sowohl am Wochenende als auch unter der Woche die Nächte um die Ohren schlagen. Dann allerdings mit Papieren anstatt mit betonieren (=sich besaufen).
Trotzdem sinkt natürlich das Wissen, das ein Schüler nach seinem Schulabschluss besitzt. Ein Jahr kann man halt nicht so einfach reinholen. Und so wird die Umstellung auf die Uni für viele etwas weniger begabte Schüler zur Qual. Studiert hat Malte damals übrigens noch dauerbekifft – doch unsere YOLO-Generation heute muss pauken. Für die Universitäten und angehenden Studenten stellte auch das gleichzeitige Abitur des ersten G8- und letzten G9-Jahrgangs ein großes Problem dar. Besonders überfüllt dürften wohl vor allem die Lehramtsstudiengänge gewesen sein. Während das G8 für einen alteingesessenen Beamten nämlich „nur“ eine Umstellung bedeutet, ist es für die Referendare in Bayern nun angesichts des gesunkenen Lehrerbedarfs fast unmöglich, eine Stelle zu bekommen. Aber hey, einen 1,0-Notenschnitt wird man von einem Lehrer wohl erwarten dürfen und perfekte Theoretiker haben ja meistens eh die wahnsinnig ausgereifte Fähigkeit, Wissen weiterzugeben, und besonders hohe Kompetenzen im Umgang mit Menschen. Doch Malte hat das mit den Lehrern nicht wirklich gestört. Weniger Lehrer bedeutet für den Horst mehr Geld. Und das hebt nicht nur dessen Gemütszustand, sondern gibt Leuten wie Malte auch die Möglichkeit, ihr Gehalt zu erhöhen. Auch die Bestimmung des eigenen Gehalts gehört nämlich zu den schwierigen Aufgaben, denen sich ein Abgeordneter stellen muss.
Gut also, dass alles besser wird, möchte man sagen. Nun hatte man nämlich die geniale und völlig neue Idee, das Gymnasium in Bayern auf neun Jahre zu verlängern. Also werden alle Schäden wieder beseitigt und endlich ist wieder ein angenehmes Leben für uns Schüler gewährleistet! Doch bevor wir anfangen, „Danke Malte!“ zu schreien, sollten wir kurz innehalten. Denn die Reaktivierung des G9 ist Maltes diabolisches Meisterwerk. Wir sind nämlich jetzt die Idioten: Generationen von Schülern durften das G9 durchlaufen, bis sich ein paar Versuchskaninchen durch das kürzere Abi quälen durften, bevor man zu dem Schluss kam, dass man das der kommenden Generation auf keinen Fall zumuten kann. Vorausgesetzt natürlich, unsere wahnsinnig konsequente Regierung bleibt, wenn sie das G9 wieder eingeführt hat, auch bei diesem. Außerdem wird es jetzt, wo sich alle an das G8 gewöhnt haben, wieder das Problem der Umstellung und ein Jahr völlig ohne neue Studenten geben. Aber das wäre ja alles nicht weiter tragisch. Doch die Wiedereinführung des G9 birgt eine viel größere Problematik: Alle finden es toll! Und deshalb werden bei der nächsten Wahl in Bayern auch wieder mindestens die Hälfte der Menschen zustimmen, dass der Horst im Amt bleibt. Und somit wird auch Malte weiterhin sein Unwesen treiben.
Aber Schluss jetzt! Wird Zeit, dass ich mich wieder Faust I widme. Schließlich soll ich bis morgen weitere vierzig Seiten interpretiert haben. Ich sehe das Buch an, vor dem ich nun seit geschlagenen zwei Stunden sitze, und schlage auf den Tisch. Eine Flasche stürzt zu Boden und verlängert meine Nacht um weitere zehn Minuten. Es sind Momente wie diese, in denen ich aus dem geöffneten Fenster schaue und aus weiter Ferne ein Geräusch zu vernehmen wage: Es ist Malte und er lacht.
Dem Kenner wird es sicherlich aufgefallen sein: Die Idee „Malte“ kommt nicht von mir. Ursprünglich wurde sie vom Gamer „Barlow“, der heute den YouTube- Kanal „SuperGamesTV“ betreibt, verwendet, um eine Spielmechanik in „World of Warcraft“ zu kritisieren, die ihm nicht gefallen hat. Dieser Einstieg schien mir so passend für das Thema „G8“, dass ich mir ein Beispiel an einem überragenden CSU-Politiker genommen und diesen einfach geklaut habe. Politik ist ja eigentlich auch nur ein Spiel. Ein Spiel mit uns Bürgern.
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