Gewerkschaftliche Vertrauensperson darf per E-Mail zum Warnstreik aufrufen
Nach einer Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) ist eine gewerkschaftliche Vertrauensperson auch ohne Einwilligung des Arbeitgebers berechtigt, im Auftrag der Gewerkschaft E-Mails vom Arbeitsplatz aus an Arbeitnehmer des Betriebs zu versenden, um zur Teilnahme an einem Streik aufzurufen.
Der Fall aus der Praxis
Eine Arbeitnehmerin ist in einem Universitätsklinikum als Krankenschwester beschäftigt. Sie ist Mitglied und Vertrauensfrau in einer Gewerkschaft. In der Klinik gilt eine IT-Nutzungsordnung. Danach darf die IT-Infrastruktur grundsätzlich nur zu dienstlichen Zwecken genutzt werden. Die Krankenschwester versandte von ihrem Arbeitsplatz aus an die betrieblichen E-Mail-Adressen von rund 140 Beschäftigten eine E-Mail. Diese enthielt einen Streikaufruf der Gewerkschaft und ein Beitrittsformular. Eine gleichlautende E-Mail mit entsprechender Anlage übersandte sie noch an weitere Beschäftigte der Klinik, wobei sie in Blöcken vorging. Sie beabsichtigte, auf diesem Weg jeden der rund 4.000 im Universitätsklinikum beschäftigten Mitarbeiter zu erreichen. Wenig später kamen die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Länder zum Abschluss. In der Tarifeinigung heißt es u. a.:
Maßregelungsklausel
Die Arbeitgebervertreter erklären, dass von Maßregelungen (Abmahnung, Entlassungen o. ä.) aus Anlass gewerkschaftlicher Warnstreiks, die […] durchgeführt wurden, abgesehen wird, wenn sich die Teilnahme an diesen Warnstreiks im Rahmen der Regelungen für rechtmäßige Arbeitskämpfe gehalten hat.
Trotz dieser Klausel erteilte die Klinik der Krankenschwester eine Abmahnung wegen Verstoßes gegen den Betriebsfrieden. Daraufhin klagte das Gewerkschaftsmitglied auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Sie war der Auffassung, dass die Versendung der E-Mail, mit der sie über den Warnstreik informiert habe, durch Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) geschützt sei.
Das sagt der Richter
Das Hessische LAG gab der Klägerin Recht. Die Arbeitnehmerin habe lediglich rechtmäßig ihre Grundrechte wahrgenommen und folglich nicht gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Sie habe deshalb einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung gemäß §§ 242, 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und aus der Maßregelungsklausel der Tarifeinigung. Die Abmahnung, mit der die Klinik die Nutzung der technischen Infrastruktur als Vertragsverstoß gerügt habe, beruhe auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens der Krankenschwester. Die Befugnis der Klägerin, die betriebliche IT-Infrastruktur als gewerkschaftliche Vertrauensperson im Auftrag der Gewerkschaft für die Versendung der E-Mail zu nutzen, folge zwar nicht unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG, aber aus der von den Gerichten aufgrund ihrer Schutzpflicht im Wege der gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung vorzunehmenden Ausgestaltung der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit.
Der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG erstrecke sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. In den Schutzbereich fielen daher auch die Information von Mitgliedern und Nichtmitgliedern sowie der Streikaufruf. Dies gelte auch für die Entscheidung der Gewerkschaft, diese Tätigkeit innerbetrieblich durch die Klägerin als gewerkschaftliche Vertrauensperson durchführen zu lassen. Die Entscheidung, dabei von der in der Klinik bestehenden IT-Infrastruktur zur Versendung der E-Mail Gebrauch zu machen, sei grundsätzlich von der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit gedeckt (Hessisches LAG, Urteil vom 20.08.2010, Az.: 19 Sa 1835/09).
Das bedeutet die Entscheidung
Art. 9 Abs. 3 GG verbürgt für jedermann und für alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Koalitionen zu bilden. Das Grundrecht schützt den Einzelnen, eine derartige Vereinigung zu gründen, ihr beizutreten oder fernzubleiben. Außerdem schützt es die Koalitionen in ihrem Bestand und ihrer organisatorischen Ausgestaltung sowie solche Betätigungen, die darauf gerichtet sind, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern.
Abmahnung ist die „Gelbe Karte“ im Arbeitsrecht
Mit einer Abmahnung rügt der Arbeitgeber eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers unter gleichzeitiger Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen (Kündigung) für den Fall, dass der Mitarbeiter sein pflichtwidriges Verhalten wiederholt. Die Funktion der Abmahnung liegt in der sogenannten Warn- und Hinweisfunktion. Die Abmahnung muss dem Mitarbeiter klar aufzeigen, welches konkrete Verhalten der Arbeitgeber beanstandet. Der Pflichtverstoß muss exakt benannt sein, damit der Arbeitnehmer die Möglichkeit erhält, seinen Pflichtverstoß zu erkennen und sein zukünftiges Verhalten entsprechend zu ändern. Darüber hinaus muss die Abmahnung den Mitarbeiter warnen, in dem sie ihn unmissverständlich darauf hinweist, dass im Wiederholungsfall die Kündigung droht.
Wichtiger Hinweis
Die besondere praktische Bedeutung der Abmahnung folgt aus dem Umstand, dass eine außerordentliche oder ordentliche verhaltensbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber regelmäßig nur wirksam ist, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter zuvor wegen eines gleichartigen Fehlverhaltens wirksam abgemahnt hat.
Diese Reaktionsmöglichkeiten stehen zur Wahl
Einem von einer unberechtigten Abmahnung betroffenen Mitarbeiter stehen die folgenden Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung:
- Beschwerde beim Betriebsrat gemäß §§ 84, 85 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG)
- Gegendarstellung nach § 83 Abs. 2 BetrVG, die auf Verlangen zur Personalakte zu nehmen ist
- Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte und Vernichtung der Abmahnung
Hat Sie Ihr Arbeitgeber abgemahnt und sind Sie der Auffassung, dass die Abmahnung ungerechtfertigt ist, so können Sie Ihren Arbeitgeber mithilfe unseresMusterschreibens Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte auffordern, die rechtswidrige Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
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