Arthrose eines Estrichlegers kann als Berufskrankheit anerkannt werden
Gonarthrose der Kniegelenke ist als Berufserkrankung anzuerkennen
Die Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit hat weitreichende Folgen. Die zuständige Berufsgenossenschaft muss in einem solchen Fall dem Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen ggf.
- Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (z.B. eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme oder eine Umschulung) zu erbringen,
- Verletzten-/Übergangsgeld oder gar
- eine langjährige Verletztenrente
zahlen. Daher ist es kein Wunder, wenn betroffene Arbeitnehmer bei einer Ablehnung durch die Berufsgenossenschaft vor Gericht ziehen. Ein solcher Fall wurde jetzt vom Sozialgericht (SG) Heilbronn entschieden.
Der Fall aus der Praxis
Der 1957 geborene Kläger arbeitete bis 2007 fast dreißig Jahre lang als Estrichleger. Seitdem ist er arbeitsunfähig. Die Anerkennung seiner Arthrose im Bereich der Kniegelenke (Gonarthrose) als Berufskrankheit wurde seitens der Berufsgenossenschaft abgelehnt. Sie sei nicht beruflich, sondern maßgeblich durch sein Übergewicht und eine angeborene Fehlstellung seiner Kniegelenke verursacht.
Das Urteil
Die hiergegen gerichtete Klage des Handwerkers vor dem Sozialgericht war erfolgreich. Die Berufsgenossenschaft wurde verurteilt, die Gonarthrose als Berufskrankheit anzuerkennen. Es sei nämlich wahrscheinlich, dass die Gonarthrose durch die Tätigkeit als Estrichleger verursacht worden sei. Der Kläger habe während seines Berufslebens mehr als 30.000 Stunden kniebelastend gearbeitet, somit die vom Verordnungsgeber vorgegebene Mindesteinwirkungsdauer seiner kniebelastenden Tätigkeit von 13.000 Stunden weit übertroffen. Gegenüber dieser beruflichen Belastung träten das Übergewicht und die angeborene Fehlstellung der Kniegelenke als weitere Ursachen für die Arthrose in den Hintergrund. Da es derzeit keine biomechanische Erklärung dafür gebe, inwiefern eine kniebelastende Tätigkeit eine Gonarthrose verursache, könne die Anerkennung als Berufskrankheit nicht mit dem Fehlen eines sog. belastungskonformen Schadensbildes abgelehnt werden (Sozialgericht Heilbronn, Urteil vom 14.12.2011; Az.: S 6 U 1145/09).
Berufskrankheiten sind gesetzlich definiert
Als Berufskrankheiten werden Krankheiten bezeichnet, die ein in der gesetzlichen Unfallversicherung Versicherter bei seiner Tätigkeit erleidet. Das Berufskrankheitenrecht unterscheidet zwischen sogenannten
- Listen-Berufskrankheiten (nach § 9 Abs. 1 SGB VII) und
- „Wie-Berufskrankheiten“ (nach § 9 Abs. 2 SGB VII).
Das sagt das Gesetz
§ 9 SGB VII Berufskrankheit
(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.
(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.
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Listen-Berufskrankheiten sind der Regelfall
- § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII definiert Berufskrankheiten als Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 und 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet.
Aufpassen
Im Gegensatz zu Arbeitsunfällen werden bei Krankheiten grundsätzlich nur solche als Berufskrankheit entschädigt, die in der von der Bundesregierung erlassenen Verordnung (BKV) bzw. deren Anlage 1 (Berufskrankheiten-Liste) einzeln bezeichnet sind.
Die entsprechende Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung lautet bspw.:
„Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13 000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht“
„Wie“-Berufskrankheiten sollen für Einzelfallgerechtigkeit sorgen
§ 9 Absatz 2 SGB schreibt vor, dass die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit entschädigen müssen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind. Damit soll sichergestellt werden, dass auch noch nicht aufgenommene Berufskrankheiten entsprechend dem Grundgedanken des § 9 entschädigt werden können.
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