Kunstfehler - Gerichtlich bestellte Sachverständige können wegen Befangenheit abgelehnt werden
In Arzthaftungsprozessen wird in vielen Fällen darüber gestritten, ob ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt. Das Gericht muss in diesen Fällen, da es die erforderlichen Feststellungen zu dieser Frage nicht kraft eigener Sachkunde treffen kann, eine Begutachtung durch Sachverständige anordnen. Hat das Gericht einen Sachverständigen bestellt, haben die Parteien allerdings das Recht, diesen abzulehnen. Lesen Sie dazu die wichtige Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Jena.
Der Fall aus der Praxis
Mit seiner Klage begehrt der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen der in der Klinik für Urologie der Beklagten in Jena durch geführten Behandlung und Operation. Er wirft dem behandelnden Arzt u. a. vor, dass die Operation nicht so wie vorher abgesprochen durchgeführt worden sei und dass das Operationsergebnis funktionell, optisch (ästhetisch) und präventiv ungenügend sei. Es habe zu Einschränkungen seiner Lebensführung (und Lebensfreude) geführt und erfordere zudem eine weitere medizinische Nachbehandlung. Die Beklagte bestreitet jeglichen Haftungsgrund.
Nachdem der Kläger keine Einwendungen erhoben hatte, bestellte das Landgericht den von der Beklagten benannten Dr. W. zum Sachverständigen. Nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens lehnte der Kläger den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Gründe hier für ergäben sich aus dem Inhalt des Gutachten selbst, auf einer unzureichenden Befunderhebung als auch aus der (beruflichen) „Nähe“ des Gutachters zur Beklagten. 1983 bis 1989 habe Dr. W. in Jena studiert. 1989 bis 1992 und von 1994 bis 1997 sei er als Assistenzarzt in der Urologie am Klinikum in Jena und von 1998 bis 2003 als Oberarzt unter dem jetzt noch amtierenden Chefarzt tätig gewesen. Der Sachverständige hat seiner Stellungnahme zum Befangenheitsgesuch sein Gutachten inhaltlich verteidigt. Zu den vom Kläger dargestellten Beziehungen zur Beklagten hat er sich nicht eingelassen. Durch Beschluss hat das Landgericht das Befangenheitsgesuch in der Sache als unbegründet zurückgewiesen. Diesen Beschluss hat der Kläger mit seiner Beschwerde unter Aufrechterhaltung und Vertiefung seines Vortrags vor dem OLG Jena angefochten.
Das sagt der Richter
Mit Erfolg. Nach Auffassung des OLG Jena könne ein Sachverständiger aus denselben Gründen wie ein Richter abgelehnt werden. Der Ablehnungsgrund „Besorgnis der Befangenheit“ sei in diesem Fall gegeben. Für diesen genüge jede Tatsache, die wenn auch nur ein subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen könne. Unerheblich sei, ob der Sachverständige tatsächlich voreingenommen sei. Grundsätzlich sei ein nahes persönliches oder geschäftliches bzw. berufliches Verhältnis zu einer Partei geeignet ein Misstrauen der anderen Partei in die Unabhängigkeit zu begründen. Ob dies im Einzelfall zu treffe, komme auf eine Gesamtschau aller zu bewertenden Tatsachen an.
Im vorliegenden Fall sei die vom Kläger vorgetragene „Nähe“ zur Beklagten sehr auffällig. Über sein Studium hinaus habe der Gutachter in der hier betroffenen Abteilung der Urologie der Beklagten viele Jahre als Assistenz- und Oberarzt mitgearbeitet. Auch habe er unter dem derzeitigen Leiter der urologischen Abteilung seine Lehrbefähigung erhalten. Es davon auszugehen, dass er die behandelnden Ärzte kenne, auch wenn er seit 6 Jahren am Klinikum in Plauen arbeite. Hinzu käme, dass der Sachverständige, der von der Beklagten vorgeschlagen wurde, seine „Nähe“ zur Beklagten verschwiegen habe. Allein ein solches Verschweigen könne bereits als Befangenheitsgrund ausreichen. Es hätte vor Annahme des Gutachtensauftrags nahe gelegen, dass der Sachverständige auf seine Ausbildung und Tätigkeit in der Klinik der Beklagten hingewiesen hätte. Das Zusammenwirken dieser Umstände rechtfertige den vom Kläger gestellten Befangenheitsantrag. (OLG Jena, Beschluss vom 03.09.2009, Az.: 4 W 373/09).
Das bedeutet die Entscheidung
Ist ein Sachverständiger zu Recht ablehnt worden, darf das Gericht dessen Aussage und / oder dessen Gutachten seiner Entscheidung keinsfalls berücksichtigen.
Wichtiger Hinweis
Stellen Sie einen Ablehnungsantrag rechtzeitig. Der Antrag ist vor der Vernehmung des Sachverständigen, spätestens jedoch binnen 2 Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über seine Ernennung, zu stellen (§ 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Eine Geltendmachung der Ablehnung zu einem späteren Zeitpunkt ist nur dann zu lässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm dies ohne sein Verschulden zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich gewesen ist (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Checkliste zum Download
Die entsprechende Checkliste: Ablehnungsgründe wegen Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen können Sie hier herunterladen.
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